Contergan: Schlafmittel - Das 30er-Röhrchen für 3,90 Mark
Viele Schwangere nahmen die angeblich harmlosen Pillen.
Düsseldorf. Die Arznei schien wie geschaffen für die Zeit des Wirtschaftswunders und ihres Fortschrittsglaubens. Ungefährlich selbst bei Überdosierung sollte das Schlafmittel sein, das am 1. Oktober 1957 rezeptfrei in den Handel kam. Sein Name: Contergan. Schnell entwickelten sich die scheinbar gut verträglichen Beruhigungstabletten, verkauft in 30er-Packungen zu 3,90 Mark, für die Herstellerfirma Grünenthal zum Umsatzschlager. Vier Jahre später hatte Contergan eine der größten Arzneimittel-Katastrophen der Geschichte ausgelöst: Weltweit wurden nach Einnahme des Medikaments bis zu 12 000 fehlgebildete Kinder geboren, davon allein rund 5000 in Deutschland. 50 Jahre später hat die Contergan-Katastrophe Geschichte geschrieben - Geschichte geworden ist sie aber längst noch nicht. Dies gilt vor allem für die heute noch rund 2600 in Deutschland lebenden Contergan-Geschädigten, die nun zwischen 45 und 49 Jahre alt sind und mit schweren Folgeschäden ihrer Behinderungen zu kämpfen haben. Das Medikament mit dem Wirkstoff Thalidomid hatte sich schnell große Marktanteile erobert, weil es im Gegensatz zu anderen Schlafmitteln dieser Zeit nicht abhängig machte und besonders gut verträglich schien. Fatalerweise führte dies dazu, dass auch viele Schwangere das Mittel nahmen. Die Folgen waren schwere körperliche Fehlbildungen bei den Embryonen - an inneren Organen, vor allem aber an den Gliedmaßen. Viele Babys kamen ohne Schultergelenk und Arme auf die Welt, andere mit Fehlbildungen an Armen und Beinen oder an den Ohren. Nachdem Contergan als Ursache für die Fehlbildungen ermittelt worden war, begann eine langwierige juristische Aufarbeitung der Katastrophe. Im bis dahin aufwändigsten Strafverfahren der deutschen Rechtsgeschichte mussten sich vom 27. Mai 1968 bis zum 18. Dezember 1970 leitende Angestellte von Grünenthal vor Gericht verantworten. Nach 283 Prozesstagen wurde der in Alsdorf geführte Prozess eingestellt - wegen geringer Schuld der Angeklagten. Noch vor Abschluss des Strafprozesses wurde im April 1970 ein Vergleich geschlossen, in dessen Folge Grünenthal freiwillig mehr als 110 Millionen Mark in die 1972 gegründete Stiftung "Hilfswerk für behinderte Kinder" einzahlte. Weitere 100 Millionen Mark flossen dem Hilfswerk vom Bund zu.