Corona-Pandemie Das Gold der Krise: Kampf um Mundschutz und Schutzanzüge

Düsseldorf · Um Mundschutz und Schutzanzüge ist ein weltweiter Kampf entbrannt, bei dem viele Regeln fallen. Mit Anbietern, die das Geschäft wittern und Käufern, die in echte Not geraten.

Eine FFP3 Atemschutzmaske liegt in Plastik verpackt auf einem Tisch.

Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Aus dem Bundesgesundheitsministerium heißt es, Jens Spahn hänge selbst ständig am Telefon, um Schutzkleidung und Atemschutzmasken anzuwerben. Und die Kraft seines Amtes mit Bundesmitteln aufzukaufen. Seit dem 4. März geht da so. An jenem Mittwoch wurde die nationale Ausfuhrbeschränkung für medizinische Schutzausrüstung entschieden. Und außerdem die „schnellstmöglich zentrale Beschaffung und Lagerung der notwendigen Schutzausrüstung“ für Arztpraxen, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen und Behörden. Diese zentrale Aufgabe, bei der seither die Beschaffungsämter von Verteidigungsministerium und Innenministerium plus Generalzolldirektion helfen, wird jeden Tag ergänzt – oder je nach Sichtweise auch torpediert. Eben von tausenden Republik weiten Bemühungen von Landräten aus kleinsten Kommunen, von deren Gesundheitsämtern, von Landesgesundheitsministern oder einzelnen Kliniken und Pflegeheimen. Jeder versucht, was möglich ist. Landrat Stephan Pusch aus der Corona-Krisenregion Kreis Heinsberg etwa fragte gar zuletzt die Regierung in China um Hilfe an. Motto: Wenn jeder für sich sorgt, ist am Ende allen geholfen. Aber ist das so einfach?

Wird die USA zum großen Player auf dem Schutzmasken-Markt?

Die viel weniger lapidare Wahrheit hinter dem telefonierenden Spahn ist eine andere: Um Schutz in der Corona-Pandemie ist ein heftiger und weltweiter Kampf entbrannt, der jeden Tag mit härteren Bandagen geführt wird. Auch mit neuen Gegnern: SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach befürchtete am Mittwochabend in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“, dass die USA schon bald wegen des bevorstehenden Zusammenbruchs ihres Gesundheitssystems mit dort vorhandenem Kapital versuchen werde, den weltweiten Bestand an Schutz- und anderen medizinischen Bedarfen aufzukaufen. Wohl dem, der dann Bestände, Aufträge und Lieferketten für sich abgesichert hat.

Am Mittwoch verteidigte Spahn sich gegen immer stärker aufkommende Kritik an ihm, die Bundesregierung habe Jahre alte Pandemie-Pläne oder auch akut rechtzeitige Hinweise aus dem Gesundheitswesen missachtet, und sicherte zu, dass jetzt dringend benötigte FFP2-Masken nach Deutschland geliefert würden. Es werde gerade ausgeliefert dieser Tage, „heute und morgen zwei Millionen Masken. Es kommt jetzt immer wieder was rein“, sagte der CDU-Politiker nur minimal erleichtert. Längst weiß er um die Fehlbestände, aber deshalb darf er nicht zu aufgeregt wirken. Der Minister am Telefon – das mag sinnvoll sein, ist aber auch Spahns Art der persönlichen Krisenbewältigung. Am Ende soll nicht alles an ihm hängen bleiben.

Die zusätzlichen Bemühungen anderer befürwortet er selbst. Während der Bund jetzt nach und nach die Landesregierungen und die 17 Kassenärztlichen Vereinigungen in Deutschland beliefert, die dann an Krankenhäuser und Arztpraxen verteilen, fordert das Bundesgesundheitsministerium ausdrücklich auf, dass Länder, Krankenhäuser und Arztpraxen auch weiter selbst Schutzausrüstung beschaffen und ihre üblichen Lieferanten bitten, Alarm zu schlagen, wenn geliefert werden kann.

In den Krankenhäusern und Pflegeheimen hält man die neue Zuversicht vielfach für heiße Luft. Schutzausrüstung für das Personal sei nicht ausreichend vorhanden, nicht überall sind die Lager voll, manche Klinik wolle ihr medizinisches Personal mit fragwürdiger Ausrüstung in den Kampf gegen das Virus schicken, wenn es ernst wird in zwei, vielleicht drei Wochen. Noch, sagt das Robert Koch Institut, stehen wir am Beginn der Epidemie in Deutschland.

Erst langsam scheint sich die Situation aktuell zu entspannen

Eine Ausrüstung, die knapp ist, weil sie nie in dem jetzt notwendigen Ausmaß bevorratet wurde und zum großen Teil in Asien hergestellt wird, jetzt also auch nicht problemlos in Deutschland nachproduziert werden kann, ohne von Lieferketten abhängig zu sein, die wegen Grenzschließungen oder Ausfuhrbeschränkungen extrem schwierig zu handhaben sind. Spahn betont inzwischen bei jeder Gelegenheit, künftig solche Produktionen wieder nach Deutschland verlegen zu wollen, aber die Erkenntnis kommt zunächst zu spät. „Wir hätten uns doch nie vorstellen können, dass so ein Cent-Produkt auf einmal so einen Mangel hat“, sagt er und mein FFP2-Masken, die früher 30 Cent kosteten und jetzt mitunter fünf, auch sechs Euro pro Stück. Noch am Dienstag wurde bekannt, dass eine Lieferung von sechs Millionen Schutzmasken nach Deutschland auf einem Flughafen in Kenia „spurlos verschwunden“ seien.

Insider auf dem Schutzkleidungsmarkt in NRW berichten dieser Redaktion davon, dass größere Firmen ihre lange geschlossenen Aufträge massenweise als kurzfristig nicht lieferbar kennzeichnen, Verträge schlicht nicht mehr erfüllen und stattdessen dieselbe Ware auf Märkten im Internet angeboten würden – zu deutlich erhöhten Preisen. In der Krise wollen viele profitieren, Schutzkleidung und Masken sind das Gold dieser Corona-Pandemie.

Erst langsam scheint sich die Situation zu entspannen. Gernot Marx, Sprecher des Arbeitskreises Intensivmedizin der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), berichtete am Mittwoch von einer Besserung, „weil in China die Produktion langsam wieder anläuft“. Spahn begründete, dass die Preise gerade wieder fallen würden, weil China die Exportverbote aufgehoben habe.

Dass Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt am Mittwoch aufrief, dass Automobilzulieferer oder Textilunternehmen in die Schutzausrüstungsproduktion einsteigen sollten, halten Fachleute für Schutzkleidung für schwierig.

Derweil hat der immer pragmatische Trigema-Boss Wolfgang Grupp längst auf das Nähen von Stoff-Schutzmasken in seinem Burladinger Textilbetrieb umgestellt. Dass die nur außerhalb medizinischer Risiko-Einsätze zur Anwendung kommen können und nicht zertifiziert sind, ficht Grupp nicht an. Seine Auftraggeber sind benachbarte Kliniken und Pflegeheime, Feuerwehr, Rotes Kreuz, Landräte und Gemeinden. Der Piquet-Stoff könne bei 60 Grad gewaschen werden, sagt er, werben müsse er dafür gar nicht, das Geschäft könnte eines werden. „Die Leute nutzen die Mundschutzmasken ja immer öfter in der Öffentlichkeit, das wird ja zum Sport“, sagt er. „Wir erfüllen einen Bedarf, der derzeit nicht gedeckt ist. Erst, wenn es wieder ein Massenartikel wird, muss dieser in einem Billiglohnland produziert werden. Dann ist es kein Produkt mehr für uns.“ Aber das dürfte noch dauern.