Das lange Warten im Wald
Manchmal dauert es Stunden, bis ein Schuss fällt. Am Abend treffen sich die Jäger am Lagerfeuer – und erweisen dem erlegten Wild die letzte Ehre.
Altley/Neuss. Seit einer Stunde hockt Robert Doujak regungslos auf seinem Sitzrucksack. Die Hände umklammern den Doppellauf seiner Bockbüchsflinte. Konzentriert späht der Jäger in den Wald hinein. Mächtige Buchen stehen da. Weiter hinten versperrt Unterholz die Sicht. Still ist es im winterlichen Forst. Dann meldet sich laut krächzend ein Eichelhäher. Eine Windböe weht Hundegebell herbei. Dann ist auch das Rufen der Treiber zu hören. Plötzlich fällt ein Schuss. Es klingt, als mache ein Sportwagen eine Vollbremsung. Doujak, der sich noch immer nicht bewegt hat, flüstert: "Das war eine Sau, die hat noch geklagt."
Bis Ende des Monats ist noch Drückjagdsaison. So wird die Treibjagd auf Wildschweine genannt. Fast 50 Jäger sind der Einladung des Waldpächters Jürgen Bleilevens aus dem kleinen Örtchen Altley im Hunsrück gefolgt. Im Abstand von 100 Metern sitzen nun die Männer am Feldrand, riegeln so den Wald ab. Zehn Treiber und zehn Hunde durchkämmen, vom Tal kommend, das Gelände. Trotzdem bleibt es recht ruhig im Revier. An diesem Vormittag sind sieben Schüsse zu hören. "Vielleicht haben sich manche Wildschwein-Rotten in ein anderes Wäldchen verzogen", spekuliert Doujak. Nachdem das Treiben beendet ist, geht er, ohne einen Schuss abgegeben zu haben, zur nahen Grillhütte. Dort wird den Männern Graupensuppe mit gekochtem Speck serviert.
Robert Doujak ist aus Neuss angereist. Der Tischlermeister ist Mitglied des "Tröteclubs" aus Grevenbroich-Kapellen. Bunt gemischt ist der Trupp von gut einem Dutzend Bläsern und Jägern aus dem Rheinkreis. Das älteste Mitglied ist knapp 70 Jahre alt, das jüngste gerade 23. Ein Jäger ist im normalen Leben Dachdecker, ein anderer Zahnarzt, der dritte Student. Sie alle eint der Wunsch zu jagen. "Es ist kein Hobby, es ist eine Passion", erklärt einer der Neusser. Das Wild zu erlegen, auszunehmen, es zu zerteilen und zuzubereiten, sei eine mit nichts zu vergleichende Erfahrung.
Ob das Jagen ihm Freude bereitet? "Nur bei einem exakten Treffer", erklärt der Jäger. Wenn der Klagelaut des Wildes noch kurz zu hören sei, so wie heute Vormittag, könne man sich nicht freuen. Und wenn ein verletztes Tier noch gesucht werden müsse, komme man erst zur Ruhe, wenn es gefunden ist.
Die Jagd auf Wildschweine, so weiß Pächter Bleilevens, ist wichtig für die Natur. Mit seiner Büchse zeigt er auf eine freie Fläche zwischen zwei Waldstücken. Die ehemalige Wiese ähnelt einem frisch gepflügten Acker. "Die Wildschweine brauchen gerade im Winter tierisches Eiweiß und suchen Würmer unter der Grasnabe." Auch ein nahegelegenes Rapsfeld, auf dem kleine Pflanzen dem Frost trotzen, ist fast völlig zerstört. Robert Doujak erklärt: "Die Wildschweine haben bei uns keine natürlichen Feinde wie Wölfe oder Bären. So muss die Jagd dafür sorgen, dass es nicht zu viele Sauen im Wald gibt." Eine Wildschweinpopulation könne sich sonst in einem Jahr leicht verzehnfachen. Dies vergesse so mancher Tierfreund, der das Jagen ablehne.
Am Abend dann liegen fünf erlegte Schweine auf einem Teppich von Tannengrün vor der Grillhütte. Bereits fachmännisch ausgenommen, werden sie der Jagdgesellschaft präsentiert. Eine der Sauen weist einen faustgroßen dunkelroten Krater unterhalb des Schwanzes auf. "Das war bestimmt das Tier, das wir gehört haben", sagt Doujak.
An den Seiten lodern Lagerfeuer. Nach einer kleinen Rede des Pächters, in der er den Jägern für ihren Einsatz dankt, bläst der "Tröteclub" ein Signal, das dem erlegten Wild die letzte Ehre erweist. Die Melodie der Hornisten klingt erhaben, aber auch etwas melancholisch im aufkommenden Nieselregen.