„Das Meer hat angegriffen“ - Frankreich nach Orkan

Paris. Totenstille herrschte im Überschwemmungsgebiet, alsdas Schlauchboot auf Häuser zusteuerte, von denen nur noch die Dächeraus dem Wasser ragten. „Es war gespenstisch“, berichtete eineAugenzeugin dem Sender France-Info am Montag.

Die französischeAtlantikküste ist die Region, in der das Orkantief „Xynthia“ dieschlimmsten Schäden angerichtet hat. Fast 50 Tote hatten die Helfer inFrankreich nach dem Unwetter geborgen. Und es gab Dutzende von Häusern,zu denen die Rettungsmannschaften noch gar nicht vorgedrungen waren.

„Das Haus war innerhalb einer halben Stunde überschwemmt“, berichteteThibault, der mit seiner Frau und den vier Kindern die Ferien inLau-Faute-sur-Mer verbrachte, der Zeitung „Le Figaro“. Die Familierettete sich in die obere Etage, im Erdgeschoss stand das Wasser baldbis knapp unter der Decke. „Gegen vier Uhr morgens hatten wirfürchterliche Angst“, ergänzt seine Frau.

Ihre Nachbarn konnten sich in letzter Minute auf das Dach ihres Hausesretten. Dort harrten sie frierend in nasser Kleidung acht Stunden langaus, bevor die Rettungskräfte sie befreien konnten. Im Haus gegenüberblieben die Läden geschlossen. Dort wohnte ein älteres Ehepaar, dasvermutlich im Schlaf von den Wassermassen überrascht wurde und nichtmehr fliehen konnte.

Unter den Getöteten waren auch mehrere Kinder und alte Menschen. Einzehn Jahre alter Junge wurde tot im Garten seines Elternhausesgefunden, seine Schwester und seine Großmutter werden noch vermisst.

„Xynthia“ war zwar nicht so stark wie der Orkan zur Jahrtausendwende -doch der Sturm kam mit einer mächtigen Flut daher. Der Wind fegte mitbis zu 160 Stundenkilometern über die Küstenregion, meterhohe Wellenüberschwemmten die Feriensiedlungen an der Küste.

„Das Meer hat unsangegriffen“, sagte ein Einwohner von La Rochelle. Ein Haus direkt amMeer - der Traum wurde für viele an diesem Wochenende ein Alptraum.Derzeit sind Schulferien in Frankreich, so dass auch vieleFerienwohnungen belegt waren.

„Jetzt ist die Stunde der Solidarität“, erwiderte Innenminister BriceHortefeux auf die Frage nach Fehlern und Verantwortlichen. Doch dieDiskussion hat längst begonnen. Sind die Bauvorschriften zu lax?Inwiefern werden sie umgangen, damit sich gut zahlende Interessentenden Traum vom Häuschen am Strand verwirklichen können?

„Wir müssen in Küstennähe anders bauen“, fordert Philippe de Villiers,rechtskonservativer Politiker und Ratsvorsitzender im DépartementVendée. „Entweder müssen die Deiche stabiler sein oder die Häuserweiter von der Küste entfernt“, forderte er.

Die französische Regierung hat fix reagiert. Das Innenministeriumstellte eine Million Euro Soforthilfe zur Verfügung. „Wir müssen alserstes die Opfer versorgen, die Deiche verstärken und dieStromversorgung wieder herstellen“, sagte Premierminister FrançoisFillon.

Präsident Nicolas Sarkozy wollte die betroffene Region amMontag besuchen. Knapp zwei Wochen vor den Regionalwahlen dürften ihmBilder, die ihn voller Anteilnahme an der Seite der Opfer zeigen,höchst willkommen sein.