Das schutzbedürftige Rübenkraut: Grafschafter Krautfabrik feiert ihr 125-jähriges Bestehen
Die Grafschafter Krautfabrik feiert 2018 ihr 125-jähriges Bestehen — und ringt um die Zukunftsfähigkeit einer rheinischen Tradition.
Meckenheim. Was bewegt einen Ziegelfabrikanten am Anfang des 20. Jahrhunderts eigentlich dazu, in die Verarbeitung von Zuckerrüben einzusteigen? Der Lehm, der an ihnen haftet. Berge davon fallen dem Meckenheimer Firmengründer Josef Schmitz vor der örtlichen Zuckerfabrik auf. Da der Tonabbau für seine Ziegelbrennerei in der Region Grafschaft nördlich von Bad Neuenahr hässliche Löcher hinterlässt, kommt er auf die Idee, als Nebenbetrieb die Fabrikation von Zuckerrübensirup aufzunehmen. Der anfallende Lehm soll die Löcher des Tonabbaus wieder verfüllen.
Die Ziegelei, die 1893 Basis für den Aufbruch des Landwirts und Poststubenbetreibers Josef Schmitz ins Unternehmertum war, hat ihren Betrieb 1989 eingestellt. Aber der Zuckerrübensirup, den im Rheinland jeder nur Rübenkraut nennt, fließt und fließt — seit 1954 vor allem in den gelben Becher, der das Regionalprodukt in den Supermarktregalen sofort erkennbar macht.
Die Grafschafter Krautfabrik hat damit in der nunmehr 125-jährigen Firmengeschichte längst einsam und allein die Marktführerschaft übernommen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden im Rheinland noch mehr als 500 Krautfabriken gezählt — viele von ihnen reichten dabei allerdings kaum über Garagengröße hinaus. Geblieben sind davon in der 2004 gegründeten „Schutzgemeinschaft Rheinischer Zuckerrübensirup/Rheinisches Apfelkraut“ ganze drei: neben Grafschafter noch die Firma Spelten aus Wegberg, die aber inzwischen auch Grafschafter gehört, und der kleine regionale Anbieter Koppers aus Goch am Niederrhein.
Gemeinsam haben sie es vor sechs Jahren geschafft, den rheinischen Zuckerrübensirup und das rheinische Apfelkraut, das seit 1976 auch von Grafschafter produziert wird, in das EU-Register für regionale Spezialitäten aufnehmen zu lassen. Dort befinden sich die süßen Brotaufstriche in illustrer Runde von mehr als 1000 geschützten Regionalprodukten — vom Parmesankäse über den Parmaschinken bis zum Lübecker Marzipan.
Als sich Anfang Juli die Gästeschar zur Jubiläumsfeier in Meckenheim einfand, wählte die neue NRW-Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) daher auch lobende Worte: „Die Grafschafter Krautfabrik gehört zur stark aufgestellten Land- und Ernährungswirtschaft in Nordrhein-Westfalen.“ Familienbetriebe wie Grafschafter trügen „zur ökonomischen Stabilität unseres Landes bei“.
Der Goldsaft also eine bleibende Goldgrube? Andreas Heinz will sich in diesem Sicherheitsgefühl nicht wiegen. Der Grafschafter-Vertriebsleiter sieht durchaus Herausforderungen für den rheinischen Klassiker. Die erste: „Die jungen Leute kennen uns nicht mehr so gut.“ Also gilt es, für neue Generationen auf neue Weise attraktiv zu werden.
Die zweite, ungleich größere Schwierigkeit: Das Konkurrenzangebot hat sich vervielfacht. „Es gibt alleine mehr als 20 Erdbeerkonfitüren auf dem Markt.“ Simpel ausgedrückt: Jede geschmierte Nutella-Schnitte ist eine Goldsaft-Schnitte weniger. Auch wenn Heinz froh ist, dass sich Grafschafter trotz des 1965 begonnenen Siegeszugs der Nuss-Nougat-Creme auf den deutschen Frühstückstischen noch als zweitstärkste Einzelmarke gehalten hat. „Aber wir wachsen nicht. Und beim To-go-Frühstück spielen wir gar keine Rolle.“ Denn dafür ist Rübenkraut zu flüssig.
Und dann ist da noch die Sache mit dem gelben Becher. Das Markenzeichen bereitet ausgerechnet im Jubiläumsjahr Kopfzerbrechen. „Wir hatten viele Reklamationen, dass der Pappbecher zu instabil sei“, blickt Heinz zurück. Dazu kam die Diskussion um die Pappbecherflut beim Kaffee zum Mitnehmen. Denn die Becher bestehen keineswegs nur aus Papier, sondern sind ein Verbundmaterial und enthalten wie Eisbecher und die traditionelle Goldsaftverpackung auch eine Plastikfolien-Zwischenlage. Ein Recycling ist daher nicht möglich, der Pappmüll kann nur verbrannt werden.
Anfang dieses Jahres stellte Grafschafter daher auf einen Becher aus Polypropylen (PP) um, der über den gelben Sack entsorgt und zumindest theoretisch zu 100 Prozent recycelt werden kann. Aber die Umstellung platzte in die aktuelle Debatte um den Plastikmüll in den Meeren „und jetzt bekommen wir Briefe, dass wir die Wale töten“. Zwischendurch wurde schon überlegt, wieder das alte Material zu verwenden, „aber wir können doch nicht zu einer Variante zurückkehren, wenn sie objektiv schlechter und ökologisch nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist“, sagt Heinz.
Auf der Höhe der Zeit will Grafschafter aber mit dem neuen Design sein, das im Herbst mit der nächsten Rübenkampagne auf den Markt kommt. Auch diese Gestaltung ist eine Reaktion darauf, dass Rübenkraut kein Selbstläufer mehr ist. Außerhalb der rheinischen Traditionskundschaft wissen viele gar nicht mehr, was sie mit dem Sirup machen sollen. Das neue Verpackungsbild zeigt es ihnen eindeutig: einfach aufs Brot streichen.