Der Glöckner vom Kölner Dom

Turm-Geschichten: Gerd Hübner führt Besucher zu den Glocken im Südturm – und berichtet über witzige und bewegende Erlebnisse.

Köln. Hin und wieder kommt es vor, dass sich Leute im Südturm des Kölner Doms verstecken und einschließen lassen, um dort die Nacht zu verbringen. "Aber meist kriegen sie nach kurzer Zeit Panik, gehen nach unten und hämmern bei uns gegen das Tor", berichtet Turmwächter Gerd Hübner (50). "Ohne Licht und ganz allein da oben - das kann recht unheimlich werden. Wer weiß, was da kreucht und fleucht. Das hält keiner lange aus."

Für die bis zu 5000 Besucher, die täglich den Turm besteigen, ist Hübner der Glöckner vom Kölner Dom. Natürlich kein echter, denn die Glocken werden per Knopfdruck vom Küster geläutet. Aber Hübner und seine Kollegen von der Turmbesteigung sind diejenigen, die den Touristen alles über die Glocken erzählen können - und über die, die sie schon gesehen haben.

Erst einmal geht es eine schmale, gewundene Treppe hinauf, durch enge Gänge und um mehrere Ecken, und dann hängt da ganz unvermittelt die größte schwingende Glocke der Welt, der Dicke Pitter. So wie der schwarze Koloss dort im Glockenstuhl hängt, ist kaum zu glauben, dass er sich jemals aus seiner Starre befreien könnte.

Aber an Ostern oder Weihnachten, wenn Päpste sterben oder Kriege enden, rumort es im Turm. Dann beginnt die Petersglocke zu schwingen, immer höher und höher, bis sie schließlich mit ihren 24 Tonnen Bronze an den Klöppel stößt und jenen festlich-melancholischen Ton erzeugt, der einen richtigen Kölner sofort innehalten lässt.

Sobald der Turm geöffnet ist, lassen Hübner und seine Kollegen den Pitter nicht mehr aus den Augen. Denn auf manche Leute wirkt er irgendwie beschwingend - die wollen dann unbedingt im Glockenstuhl rauchen, trinken oder Sex haben.

"Und dann gibt’s immer wieder Wahnsinnige, die sich an den Klöppel dranhängen", sagt Hübner. "Die wissen natürlich nicht, dass der mit schwarzem Fett eingerieben ist. Einer ist sogar mal im weißen Anzug drangesprungen. Seine Frau hat ihm dafür eine Ohrfeige verpasst."

Gerd Hübner hat eine besondere Bindung zu den Türmen des Doms aufgebaut. Er ist gelernter Einzelhandelskaufmann, "aber das hier ist wie Zirkus. Davon kommen Sie nicht mehr los.

Das Schöne ist, man hat im Grunde immer nur mit gut gelaunten Menschen zu tun, denn die kommen ja alle in ihrer Freizeit hierhin." Es gibt auch bewegende Momente. Einmal nahm ein Vater seinen sieben Jahre alten Sohn aus dem Rollstuhl und trug ihn bis ganz nach oben. "Wer weiß, ob er das im nächsten Jahr noch erleben würde, sagte er."

Ein Sportler nutzte den Domturm als Trainingsgelände, indem er immer wieder rauf- und runterrannte. Eine Psychiaterin kam mit einer Patientin, die in den engen Gängen lernen sollte, ihre Klaustrophobie unter Kontrolle zu bringen. Einmal machte ein junger Mann seiner Freundin einen Heiratsantrag, und Hübner ließ von der Aussichtsgalerie - ausnahmsweise - Luftballons fliegen.