Düren Der gute Chirurg und die große Lüge - Haft auf Bewährung

Im Krankenhaus galt er als guter Chirurg. Niemand wusste von der großen Lüge. Vor Gericht machte er reinen Tisch. Er muss zwar nicht ins Gefängnis, aber an den OP-Tisch kann er nie mehr zurück.

Der Angeklagte und Anwalt am Dienstag im Amtsgericht Düren.

Foto: Henning Kaiser

Düren. Fachlich war gegen den 41-jährigen Arzt nichts einzuwenden: Unter den Kollegen am Dürener Krankenhaus war er angesehen, die Patienten hatten Vertrauen zu ihm. Das räumte sogar der Staatsanwalt ein, der den Mediziner vor den Richter brachte - denn der hatte sich den guten Ruf nur erschlichen. Niemand habe von der großen Lüge gewusst, sagte der falsche Arzt jetzt auf der Anklagebank: Nicht einmal seine Frau, und schon gar nicht der Vater, selbst ein angesehener Arzt. Der Mann hatte geahnt, dass seine Lügenkonstruktion einmal einstürzen würde. Und vor Gericht gestand er am Dienstag bereitwillig - fast so, als würde er sich erleichtern, meinte die Staatsanwältin Katja Schlenkermann-Pitts. Das Gericht folgte der Anklage und verurteilte den falschen Arzt zu einem Jahr und zehn Monaten Haft auf Bewährung wegen Körperverletzung in über 330 Fällen und Urkundenfälschung.

„Der Angeklagte war in der Lage zu operieren“, sagte die Vorsitzende Richterin Verena Neft in ihrer Urteilsbegründung. Als Arzt werde er trotzdem nie wieder arbeiten können, machte der Verteidiger berufsrechtliche Konsequenzen deutlich. Der Angeklagte machte vor Gericht reinen Tisch: Der Sohn eines angesehenen Arztes sollte in die Fußstapfen seines Vater treten. Vor dem Staatsexamen merkte er aber, dass ihm dafür zwei Leistungsnachweise fehlten: Hygiene und Ethik. Aus seiner Sicht eher kleinere „Scheine“, die ihn aber über ein Jahr mehr Zeit gekostet hätten. Er sprach mit Studienkollegen und entschied, die Scheine zu fälschen. Als der Schwindel aufflog, wurde er von der Uni.

„Ich habe so weitergemacht, als wenn nie etwas gewesen wäre“, sagte der heute arbeitslose Vater von zwei kleinen Kindern vor Gericht: Er lernte und lernte und machte die Vorprüfungen. Und er schwieg. Er habe keinen Mut gehabt, mit dem Vater zu sprechen, sagte er. Er fälschte seine Examensurkunde, schickte sie mit allen Unterlagen ein und bekam die ärztliche Zulassung. In einer Klinik wurde er ausgebildet, war gut, wurde gefördert, machte Seminare und Fortbildungen - „wohl auch als eigene Bestätigung dafür, dass er eine Berechtigung hat, als Arzt zu arbeiten“, vermutete die Staatsanwältin. Dann die Ausbildung zum Facharzt.

Damit das Lügenkonstrukt weiter funktionieren konnte, fälschte er die Facharzt-Urkunde - die einzige seiner Urkundenfälschungen, die noch nicht verjährt war und mit zur Verurteilung führte. Gestolpert ist er aber über den gefälschten Doktorgrad. Ein Kollege interessierte sich für die Doktorarbeit - und fand nichts im Internet. Auch wenn die Staatsanwaltschaft keine konkrete Gefahr für die Patienten sah - der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz Eugen Brysch stellte fest: „Für die betroffenen Patienten ist jeder Fall gravierend, bei dem sie von einem falschen Arzt behandelt werden. Schließlich stehen ihre Gesundheit und ihr Leben auf dem Spiel.“ Die zuständigen Behörden müssten verpflichtet werden, die Echtheit eines Staatsexamens immer vom jeweiligen Prüfungsamt bestätigen zu lassen. dpa