Der „Hype“ um die Klamotten: Jugendliche und ihre Markenlieblinge
München/Düsseldorf (dpa) - Früher standen Teenager stundenlang an, um Konzertkarten für ihre Lieblingsband zu ergattern. Heute tun sie es, um als erste in einem neuen Modegeschäft einkaufen gehen zu dürfen.
Um manche Marken ist ein „Hype“ entstanden. Warum eigentlich?
Sie kreischen, schreien, jubeln. „10, 9, 8, ...“ Hunderte von jungen Frauen und Männern, Mädchen und Jungen zählen den Countdown nach unten. Nur noch wenige Sekunden, dann werden sich die weißen Rollläden öffnen. Die Menge schiebt ein bisschen nach vorne. Viele der Fans sind schon im Morgengrauen aufgestanden und haben sich auf den Weg gemacht, sich besonders schön angezogen. „3, 2, 1!“ Die Rollläden fahren nach oben, Klatschen, Drängeln, dann strömt die Menge durch die Eingänge nach innen.
Diese Szene stammt nicht von einem Popkonzert oder einer Preisverleihung mit Hollywood-Superstars. Diese Szene hat sich vergangenen Juli in Berlin abgespielt, als das Modegeschäft Primark am Walther-Schreiber-Platz eröffnet hat. Youtube-Videos zeigen, wie Jugendliche in die Gänge strömen, hastig durch die Klamotten wühlen und nach ihrer Größe suchen. „Da war so ein großer Hype drum. Wir wollten unbedingt da hin“, antwortet ein Mädchen in einem Video auf die Frage, warum sie nicht einfach an einem anderen Tag gekommen ist.
Einkaufen ist für viele Jugendliche zum „Hype“ geworden. Modeexpertin Natasha Binar sieht den Grund für die große Beliebtheit mancher Marken darin, dass sie mehr verkaufen als nur Pullover. „Sie suggerieren einen gewissen Lifestyle“, sagt die Dozentin an der Akademie Mode und Design in München.
Vergangenen Oktober hat in der bayerischen Landeshauptstadt beispielsweise eine Filiale des amerikanischen Modelabels Abercrombie & Fitch eröffnet. Immer noch stehen die Kunden an, um Einkaufen gehen zu dürfen. Die Musik im Laden ist laut, das Licht dunkel. Junge Frauen tanzen und grüßen mit kalifornisch-lässigen Sprüchen wie „Hey, what's up?“ oder „How are you doing?“ (zu Deutsch: „Wie geht es dir?“).
„Das ganze Leben eines Models oder eines It-Girls wird dort projiziert. Die Kunden möchten gerne ein Teil davon sein“, sagt Binar. Dabei seien die Teile - sportliche T-Shirts, Kapuzenpullover und Jeanshosen - eigentlich recht einfach gestaltet. Trotzdem: Wenn ein Kunde einen Pullover von Abercrombie & Fitch anhabe, dann trage er auch das coole Club-Gefühl mit sich.
Das glaubt auch der Experte für Neuromarketing und Geschäftsführer der Marketingberatung Decode, Christian Scheier. Durch den Kauf von Markenprodukten werde der Kunde selbst zum Teil eines angesagten Zirkels. Hirnforscher hätten herausgefunden, dass eine Kaufentscheidung Abwägungssache ist: Der Schmerz - also der Preis - wird gegen die Belohnung - also zum Beispiel das Gefühl, dazuzugehören - aufgewogen. „Marken haben zwei Hebel und wenn sie beide bespielen, dann sind sie oft sehr erfolgreich“, sagt Scheier.
Ein guter Preis spielt gerade bei Jugendlichen eine große Rolle, findet auch Mode-Expertin Binar. Da sich Abercrombie & Fitch nicht unbedingt jeder leisten kann, kaufen Jugendliche ihrer Meinung nach noch lieber bei H & M und Primark ein. „Gerade Teenager, die wenig Taschengeld haben, können sich hier stilistisch austoben und etwas Neues ausprobieren“, sagt sie. Die Qualität sei vielen Jugendlichen dabei nicht so wichtig.
Das gilt offensichtlich auch für die Herstellungsbedingungen. Erst vor Kurzem stürzte eine Textilfabrik in Bangladesh ein, eine weitere ging in Flammen auf. Über 1000 Menschen starben. Von den Unglücken haben auch die Zwillinge Fabienne und Pia, beide 18, gehört. Mit Tüten bepackt kommen sie an diesem Freitagnachmittag aus einem angesagten Modegeschäft in der Düsseldorfer Innenstadt. Dass die Ware in dem Laden zum Großteil in Bangladesch und China produziert wurde, stört die Schwestern nicht. „Da denkt nicht jeder drüber nach. Das ist weit weg“, sagt Pia.
Der gute Preis sei das stärkere Argument, glaubt auch Scheier. Im Grunde wollten Jugendliche beim Einkaufen nichts falsch machen. „Implizit scannt man die Umgebung danach: Was finden andere interessant, was tun andere, worüber redet man?“, erklärt Scheier. Für Teenager sei das Internet der wichtigste Informationskanal. Über soziale Netzwerke und Mode-Blogs erfahren sie, welche Marken und Läden gerade angesagt sind. Ein „Hype“ wird also häufig im Internet losgetreten - moralische Bedenken stehen hinten an.
Der Duden definiert das Wort „Hype> übrigens als eine „Welle oberflächlicher Begeisterung“. Trends lösen sich bei Jugendlichen schnell wieder ab. Was heute in ist, kann morgen schon wieder out sein. „Das macht es auch so herausfordernd für die Marken, nachhaltig erfolgreich zu sein“, sagt Scheier.