Der mit den Vögeln spricht
Pierre Schmidt frönt der Falknerei, der ältesten Form der Jagd. Ein Tag mit dem König der Lüfte.
Düsseldorf. Von einem Moment auf den nächsten verstummen alle Gespräche. Dutzende Augenpaare richten sich auf einen Mann, der am Rande der großen Wiese steht. Mit seiner Baseballkappe, dem lässig geknoteten Schal um den Hals und dem Drei-Tage-Bart wirkt Pierre Schmidt eher wie ein Abenteurer denn ein moderner Bernhard Grzimek.
Und doch scheint Schmidt genauso wie der berühmte Tierforscher auf geheimnisvolle Art mit Tieren sprechen zu können. Eine kleine Geste, und ein Steinadler kommt angeflogen, lässt sich auf dem Handrücken des 53-Jährigen nieder. Pierre Schmidt ist Falkner — aus Leidenschaft und aus Liebe zu den Vögeln.
„Im Mittelalter war der Falkner an seinem langen grünen Gewand zu erkennen“, erklärt Schmidt den staunenden Kindern. Damals wie heute ist das typische Erkennungszeichen eines Falkners vor allem der dicke Lederhandschuh, mit dem er sich vor den scharfen Krallen der Vögel schützt. Auch das Handwerk, das sich nicht nur mit Falken, sondern mit allen Greifvögeln befasst, ist das gleiche geblieben. Kaum einer weiß das besser als Schmidt, der auf dem Gelände von Schloss Gymnich bei Euskirchen eine der größten Falknereien Deutschlands unterhält.
Die Falknerei umgibt auch heute noch ein Hauch von Mittelalter — als Freizeitbeschäftigung des Hochadels, als Kunst am Hofe. Minnesänger wie ,Der von Kürenberg’ verarbeiteten sie in ihrer Lyrik. „Tatsächlich handelt es sich sogar um die älteste Form der Jagd“, weiß Schmidt. Schon vor 6000 Jahren sei mit Habichten gejagt worden.
„Im elften Jahrhundert brachten Kreuzritter die ersten Falken aus dem Orient mit“, erzählt der Falkner. Dort war es die traditionelle Jagdform — aber nicht hoch zu Ross, sondern vom Kamel oder Dromedar aus.
Pierre Schmidt bevorzugt indes festen Boden unter den Füßen. „Falke voraus!“, so sein traditioneller Ruf, auch wenn gerade ein Steinadler majestätisch seine Flügel ausbreitet, sich von der Hand des Mannes abstößt und in die Lüfte schnellt. Dieses Mal jagt der Raubvogel nur eine künstliche Beute. Er stürzt sich auf sie, packt sie und breitet die Flügel über ihr aus, bis Schmidt ihm die Trophäe abnimmt. Ein Hase hätte gegen den König der Lüfte kaum eine Chance gehabt. „So ein Steinadler jagt von der Maus bis zum Wolf alles“, sagt Schmidt. Kein Wunder bei einer Tonne Griffkraft pro Quadratzentimeter. Zur Belohnung gibt’s einen Leckerbissen. „Fisch, Lachs, Ratten und Mäuse gehören genauso zu einer optimalen Ernährung wie dreimal täglich frisches Wasser.“
Die Leidenschaft für die Falknerei erfasste den 53-Jährigen in Kindertagen. „Die Schönheit, der Mut und die Intelligenz der Vögel faszinieren mich.“ Seit 40 Jahren sei er dabei, habe das Handwerk im In- und Ausland erlernt.
Auf Schloss Gymnich im Greifvogelzentrum Rheinland hält Schmidt mehr als 30 Adler, Bussarde, Falken und Eulen. Mit seiner Lebensgefährtin Ricarda Schmidt veranstaltet er Flugshows und Workshops, geht in Schulen und Kindergärten. Auch Führungskräfte klopfen an seine Tür. „Wer einmal einen Greifvogel auf der Hand hatte, vergisst das nie“, so Schmidt. Mancher Teilnehmer habe Tränen in den Augen. Seine Gäste finden selbst aus Australien und den USA den Weg nach NRW.
45 Mitarbeiter umfasst Schmidts Team — fast alle arbeiten ehrenamtlich. Doch die Falknerei ist für Pierre Schmidt mehr als ein Freizeitvergnügen, sie ist eine Lebensphilosophie. „Außer der täglichen Arbeit geht es auch um Artenschutz.“ Oft werden verletzte Greifvögel abgegeben. „Wir pflegen sie bis zur Auswilderung gesund.“
Großes Oh und Ah gibt es, wenn Schmidt einen Falken mit verzierter Lederhaube vorführt. „Mit der Haube werden gerade junge Vögel ruhiggestellt.“ Sie versperre den Blick auf die Beute — sonst siege der Jagdtrieb. Ein Falke erkennt eine Krähe noch auf 400 Meter Entfernung, im Sturzflug erreicht er fast 250 Stundenkilometer.
Am Boden aber, stellen die Besucher erstaunt fest, ist so mancher Greifvogel ziemlich hilflos. Wie der Steinadler, der gerade mit seinen stämmigen Beinen über die Wiese stapft. „Wenn Falken oder Adler Angst haben, laufen sie“, sagt Schmidt. Am Boden seien sie aber gerade jenen Wildtieren ausgeliefert, die sie sonst aus der Luft jagen. „Ganz schön dumm, wenn man doch fliegen kann“, meint ein Knirps und fügt hinzu: „Dann sind Greifvögel also die Dummen der Lüfte.“