Deutschlandkenner Michel Tournier gestorben
Paris (dpa) - Michel Tournier kannte Deutschland gut. So sehr, dass manche Literaturkritiker und Kollegen ihn sogar mit dem Nachbarland gleichsetzten. „Michel Tournier.
Das ist Deutschland“, schrieb der französische Schriftsteller und Journalist Pierre Assouline. Tatsächlich beherrschte Tournier die Sprache Goethes wie nur wenige seiner Zunft. Denn der gebürtige Pariser gehörte zu den ersten Franzosen, die nach 1945 zum Studieren nach Deutschland gingen. Jetzt ist er im Alter von 91 Jahren gestorben.
Hegel auf Deutsch, das ist etwas ganz anderes, soll er in einem seiner letzten Bücher „Lettres parlées à son ami allemand Hellmut Waller“ (etwa: Sprechende Briefe an seinen deutschen Freund Hellmut Waller) geschrieben haben, wie Assouline in seinem Fachblog „La République des livres“ über Tournier schreibt.
Der Deutschlandkenner hinterlässt der Nachwelt zahlreiche Essays, Kinderbücher und einige der bedeutendsten Werke der französischen Literatur, darunter auch den „Erlkönig“. Ein Roman über eine Reise durch Ostpreußen während des Zweiten Weltkriegs, für den er 1970 Frankreichs begehrtesten Literaturpreis erhielt. Darin beschreibt Tournier Deutschland als ein Land der Fremdheit, das zwischen Enthemmung und Disziplinierung schwankt. Der Roman diente Volker Schlöndorff für seinen 1996 erschienenen Film „Der Unhold“ als literarische Vorlage. Als einer der wenigen französischen Schriftsteller hat Tournier auch über den Mauerfall am 9. November 1989 geschrieben.
„Le bonheur en Allemagne?“ (Etwa: Das Glück in Deutschland?) gehört zu den wenigen Büchern Tourniers, die nicht auf Deutsch übersetzt wurden. In dem 2006 in einer Neuauflage erschienenen autobiografischen Essay geht der Autor vor allem auf seine Beziehung zu Deutschland ein.
Tournier hat früh seine ersten Erfahrungen mit dem Nachbarn Frankreichs gemacht. Seine Eltern waren Germanisten, er selbst studierte Philosophie in Tübingen. In seinen Büchern versuchte Tournier, mit deutsch-französischen Stereotypen aufzuräumen, darunter auch der Vorstellung von der deutschen Pünktlichkeit und Ordnung. Die deutsche Geschichte vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Fall der Mauer sei ein einziges Chaos. Aber die Franzosen glaubten, dass es nirgendwo so ordentlich zugehe wie in Deutschland, hatte er einst dem „Spiegel“ erklärt.
Mit seiner Vorliebe für mythische Elemente und die deutsche Sprache machte sich Tournier zu einem Außenseiter unter den französischen Literaten. Zu seinen größten Erfolgen zählen neben der „Der Erlkönig“ sein Erstlingswerk „Freitag oder Im Schoß des Pazifik“, in dem er das Inselabenteuer des Robinson Crusoe überarbeitet.
Tournier starb in seinem Anwesen, einem ehemaligen Pfarrhaus in Choisel bei Paris, am Montag gegen 19 Uhr, wie sein Patenkind Laurent Feliculis der französischen Nachrichtenagentur AFP sagte.