Die neue Angezogenheit - Anzugmode wird jugendlich
Köln/Berlin (dpa/tmn) - Seine Silhouette bleibt bis auf Weiteres schlank, statt Streifen sind auch Karos gefragt, und Farben sind längst kein Tabu mehr: Ein Anzug wird längst nicht mehr nur von Geschäftsleuten getragen.
Die Jüngeren haben ihn als Freizeit-Outfit entdeckt.
Wer heute im Anzug durch die Stadt paradiert, muss nicht zwangsläufig auf dem Weg ins Büro sein. Er mag auch einfach Freude am schicken Auftritt haben. Die Designer fördern diese Einstellung: Wer in Farben und Mustern Ungewöhnliches wagen will, muss nicht mehr notgedrungen in Second-Hand-Kellern wühlen, denn der Handel bietet ausreichend topmodische Exemplare. Auf einem Anzug von Sisley finden sich etwa großformatige Rautenkaros, und bei H&M prangt eine Anschnallgurt-Applikation am reverslosen Jackett.
Vom staubgrauen Vertreteranzug ist dieser Pop-Avantgardismus denkbar weit entfernt. „Die neue Angezogenheit“ nennt Gerd Müller-Thomkins, Geschäftsführer des Deutschen Mode-Instituts (DMI) in Köln, daher die neue Neigung der Jüngeren, sich stilvoll in Schale zu werfen. „Junge Menschen entdecken die klassische Moderne“, meint er. Vor dem Hintergrund krisenhafter Zeiten orientierten sie sich an der Konvention: „Man hält sich fest an der Sicherheit der Form, sucht sogar nach einem gewissen männlichen Uniformismus.“
Langweilig muss dieser Klassizismus aber gewiss nicht sein. Im Gegenteil: „Die ödesten Anzüge sind meist die, die Büroleute nur deshalb tragen, weil sie welche tragen müssen“, sagt der Berliner Modeautor Bernhard Roetzel. „Freiwillige Anzugträger wagen da mehr.“
Dem stimmt Andreas Rose, Personal Shopper und Modeberater aus Frankfurt, zu: „Der neue Mann hat eben keine Angst davor, eine gute Figur zu machen. Wer sich einen edlen Zweiteiler überstreift, vermittelt Stil, Kreativität und Professionalität.“
Es sind meist die kleinen Dinge, die einen Trend ausmachen: „Die Mode ändert sich stets vom Detail“, erläutert Gerd Müller-Thomkins. Bevor eine Farbe etwa bei Sakkos eingesetzt wird, nähere sie sich zunächst über Accessoires wie Schals und dann Hemden langsam an. Das sieht man auch in den Kollektionen: United Colors of Benetton kontrastiert aktuell einen grauen Karoanzug mit orangefarbigem oder neongrünem Rollkragenpulli. Und Hugo kombiniert zum schwarzen Sakko ein blaues Hemd, dunkelblaue Hose und glänzend hellblaue Schuhe.
„Unter dem Sakko setzen Cardigans, Strickweste oder V-Neck-Pullover farbige Akzente“, rät Andreas Rose. „Modische Männer stimmen ihre Strümpfe mit der Krawattenfarbe ab, und bei hellen Anzügen orientiert sich die Strumpffarbe an den Schuhen.“ Auch Strickkrawatte oder Nicki-Tuch geben Anzügen einen neuen Touch.
Was bei den Kollektionen auffällt, sind die Silhouetten - denn die bleiben bis auf weiteres konstant schlank. „Alles ist schmal, knapp und kurz wie schon bei den Mods“, sagt Bernhard Roetzel. Die Jacken enden auf der Gesäßmitte, die Hosenbeine liegen eng am Bein, und der Hosensaum schwebt weit über den Schuhen. „Solche Anzüge passen allerdings nur auf extrem schlanke Jünglingskörper, gestandene Männer sehen darin aus wie im Konfirmationsanzug ihres kleinen Bruders.“
Dass sich die Anzugmode stark auf Jugendlichkeit kapriziert, ist nicht verwunderlich angesichts der Tendenz, dass schon auf Schulfeiern heute wieder Anzugpflicht herrscht. „Im Vergleich zur vorherigen Generation ist der Anzug heute weniger ideologisch belastet“, sagt Roetzel. „Die Jugend rebelliert nicht mehr gegen die Seriosität der Älteren, ihre Herangehensweise ist unverkrampfter.“
In gewisser Weise habe sich die Sache umgedreht, ergänzt Müller-Thomkins. „Während sich ältere Männer heute Tüchlein um den Hals hängen, um jünger zu erscheinen, kleiden sich die Jüngeren in Hemd, Krawatte und Anzug.“ Die Suche nach Bodenständigkeit und auch die Identitätssuche im globalen Raum zeige sich in der Tracht. Das Samtsakko mit Stehkragen zum Beispiel, das Hartwich in seiner Winterkollektion führt, spielt offensiv mit dem Loden-Look.
Die Anzüge für den Geschäftssektor sehen naturgemäß moderater aus, aber im Einheits-Dunkelblau erschöpft es sich nicht. Dezente Kreidestreifen oder schottische Glencheck-Karos seien derzeit gefragt, berichtet Rose. „Glencheck ist ein feines Karomuster, das durch ein zweites Karo überlagert wird. Dezent gemustert bilden sie eine guten Alternative zum gewöhnlichen Business-Grau.“