Die Promi-Geburtstage vom 31. Januar 2012: Philip Glass
New York (dpa) - Eine Komposition von Philip Glass klingt unverkennbar: das gleichmäßige Fließen immer wiederkehrender Muster, rhythmischer Gefüge, sich überlagernder Strukturen. Wer Philip Glass einmal gehört hat, wird ihn entweder abgöttisch lieben oder abgrundtief hassen.
Aber die Musik des amerikanischen Avantgardisten wird er nicht mehr vergessen. Glass hat Opern komponiert, mit Rock- und Popstars zusammengearbeitet und schreibt sogar Werbespots für Autos. Heute feiert er seinen 75. Geburtstag.
Der kontrovers diskutierte Schöpfer von so unterschiedlichen Werken wie der vierstündigen Oper „Einstein on the Beach“ und dem Soundtrack zu Hollywood-Filmen wie „The Hours - Von Ewigkeit zu Ewigkeit“ oder „Die Truman Show“, für die er einen Golden Globe gewann, gilt seit langem als Pate neuer experimenteller Musik. Seine minutiös gewirkten Klangteppiche, mit wiederkehrenden rhythmischen Strukturen entfalten ihren unverwechselbaren Klang mit der Aufreihung und Überlagerung kurzer Folgen.
Gegen die Schublade Minimalist wehrt sich der 1937 in Baltimore (US-Bundesstaat Maryland) geborene Komponist und Musiker allerdings vehement. „Das klingt mir zu sehr nach Sparsamkeit und Kasteiung“, sagte er einmal. Einschränken lassen wollte sich der ehemalige Mathematikstudent und Sohn eines Schallplattenhändlers nie. Stattdessen schöpft er mit Vorliebe aus dem, was die Weltmusik zu bieten hat. Zwar holte er sich seine klassische Ausbildung bei der Musikpädagogin und Dirigentin Nadia Boulanger in Paris, bei der auch Leonard Bernstein Schüler war. Inspiriert wurde Glass' Stil jedoch in den 60er Jahren von dem indischen Sitar-Spieler Ravi Shankar - lange bevor die Beatles ihn entdeckt hatten. Neue Methoden der rhythmischen Strukturierung und die Regeln anderer Tonsprachen studierte Glass auf Reisen durch Nordafrika, den Nahen Osten und Südostasien.
Der internationale Durchbruch gelang 1974 mit der Uraufführung seiner 240 Minuten langen Komposition „Music in Twelve Parts“ in der New Yorker Town Hall. Kritiker verglichen das Stück mit der Bedeutung von Johann Sebastian Bachs Barockwerk „Kunst der Fuge“. Mit der Oper „Einstein on the Beach“, die er zusammen mit Robert Wilson produzierte (Uraufführung 1976 im französischen Avignon), zementierte er seinen Ruhm. 1980 folgte die zweite Oper, „Satyagraha“, über die Erlebnisse des jungen Anwalts Mahatma Gandhi in Südafrika. Mit der im März 1984 in Stuttgart uraufgeführten Oper „Echnaton“ über den ägyptischen Sonnenkönig vollendete Glass diese Trilogie.
Philip Glass' großer Erfolg basiert auch darauf, nicht nur für ein Bildungspublikum zu schreiben, sondern auch Rock- und sogar Punkfans zu erreichen. Glass erklärt zwar heute noch kokett: „Ich habe keine Ahnung von Rock' n' Roll“ - aber Musiker und Bands wie David Bowie, Brian Eno, Kraftwerk und Talking Heads ließen sich von ihm inspirieren oder arbeiteten mit ihm zusammen. In den 70er Jahren kannte Glass alle Künstler, die damals in Soho lebten: Richard Serra, Chuck Close und Jasper Johns ebenso wie den Choreografen Merce Cunningham.
Seit Beginn der 80er Jahre komponiert der Amerikaner auch Filmmusiken für Hollywood. Dazu gehört der gesellschaftskritische Streifen „Koyaanisqatsi“ (indianisches Wort für „Leben im Ungleichgewicht“), den Francis Ford Coppola 1982 produzierte. Es ist eine aufregend bedrückende Psychoreise in die Massengesellschaft - ohne Text, nur mit den eindringlichen Tönen von Philip Glass. Auch für Martin Scorseses Tibet-Film „Kundun“ (1997) schrieb er den Soundtrack. Das Fließende seiner Musik eignet sich perfekt zur dramaturgischen Unterstützung, effektiv auch eingesetzt in Woody Allens Tragikomödie „Cassandras Traum“ (2008).
Die Inspiration, so sagte Philip Glass einmal in einem „Zeit“-Interview, komme ihm im Schlaf. „Ich hatte schon äußerst präzise musikalische Träume, in denen ich ganze Stücke gehört habe, an denen ich gerade arbeitete - vollständig aufgeführt“, sagte er. Die Themen werden ihm auf diese Weise wohl nie ausgehen. Zu seinem 75. Geburtstag macht ihm die New Yorker Carnegie Hall ein ganz besonderes Geschenk: Philip Glass' jüngste Komposition „Symphony No. 9“ wird am Dienstag zum ersten Mal auf amerikanischen Boden aufgeführt.