Entführung der "Landshut" vor 40 Jahren Die zweite Befreiung der Gabriele von Lutzau
Im Gespräch mit Chefredakteur Ulli Tückmantel erzählte die Stewardess der „Landshut“ 40 Jahre nach dem Geiseldrama von Mogadischu über fünf Tage im Herbst 1977.
Wuppertal. Fünf Tage Geiselhaft können einen Menschen zerstören, sie können ihn verunsichern, innerlich heimatlos machen. Bei Gabriele von Lutzau ist das anders. Ihre fünf Tage in der Gewalt von palästinensischen Terroristen haben die heute 63 Jahre alte Bildhauerin stärker gemacht, entschlossener, unbeirrbar im Kampf gegen Widerstände, gegen Krankheit und in scheinbar ausweglosen Situationen. „Zivilcourage, nicht schweigen, aufstehen“, das sind die Schlüsse, die sie aus dem Überleben der Hölle gezogen hat. „Ich war zu wütend, um Angst zu haben“, sagt sie.
Gabriele von Lutzau gehörte der Besatzung des Fugzeugs an, das am 13. Oktober auf dem Weg von Mallora nach Frankfurt entführt worden ist. Die Lufthansa-Maschine mit dem Namen Landshut und ihre Befreiung durch die Grenzschutz-Gruppe GSG 9 gelten als Höhepunkt des so genannten Deutschen Herbstes. Im Gespräch mit dem Chefredakteur der Westdeutschen Zeitung, Ulli Tückmantel, erzählte von Lutzau am 40. Jahrestag von den Ereignissen in der „Landshut“, davon, wie sie der „Engel von Mogadischu“ wurde. „Aber nicht chronologisch fragen, das kann ich nicht“, sagte sie.
Gabriele Dillmann war 22 Jahre alt, frisch in ihren heutigen Ehemann verliebt und Teil einer Reservemannschaft, als die Lufthansa sie kurzfristig für den Flug nach Mallorca einteilte. Mit dem Mann, der sich später selbst Captain Mahmoud nannte, kam sie sofort in Kontakt. „Er bat um ein Glas Wasser“, erinnerte die damalige Stewardess sich. Sie vergaß den Wunsch im Trubel der Flugvorbereitungen zunächst, brachte Mahmoud das Wasser später. „Sie werden sich noch an mich erinnern, antwortete er auf meine Entschuldigung.“
Über Frankreich haben die vier Terroristen das Flugzeug dann übernommen. Dass die jüngste unter den Flugbegleiterinnen die wichtigste Rolle im Flugzeug übernehmen sollte, führt von Lutzau heute auf zwei Faktoren zurück. Sie sprach und spricht perfekt Englisch und sie fühlte sich verantwortlich für die Passagiere. Das tut sie heute noch. Sehr wahrscheinlich hat sie allen das Leben gerettet. Sie war den Geiseln ein Trost und für die Terroristen eine Beruhigung, eine diplomatisch geschickte Botschafterin zwischen den Kriminellen und deren Opfern.
„Trotzdem gab es Gewalt an Bord“, berichtete Gabriele von Lutzau. Dem Anführer der Terrorbande gefiel es, Menschen zu quälen. Die hübschen jungen Frauen einer Schönheitskonkurrenz auf dem Weg nach Hause hatten es ihm angetan, und Co-Pilot Jürgen Vietor war so lange Opfer des Sadisten, bis der Pilot Jürgen Schumann von einem der Terroristen erschossen worden war. „Danach ließen sie Vietor in Ruhe, sie brauchten ihn ja noch.“
Wie vermutlich alle Passagiere in der Landshut, hat Gabriele von Lutzau in jeder Sekunde des fünftägigen Geiseldramas mit dem Tod gerechnet. Ihr Appell an die Bundesregierung, ihr Vorwurf, die Regierung sei Schuld am Tod der Geiseln, weil sie die inhaftierten Terroristen nicht wie gefordert freiließ, erschütterte die Welt. „Die sollten wenigstens ein schlechtes Gewissen haben“, sagt sie. Dass es dazu nicht kommen sollte, hat von Lutzau wahrscheinlich als erste wahrgenommen. „Da war so ein Kratzen, das gab es sonst nicht“, erinnert sie sich an den Augenblick vor der Erstürmung des Flugzeugs. „Plötzlich ein Knall, dann schrie jemand: Köpfe runter! Wo sind die Schweine?“
Gabriele von Lutzau ist später mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Viel mehr hatten der Staat und die Lufthansa nicht für die Opfer der Landshut übrig. Im Krieg hätten die Menschen Schlimmeres erlebt, hieß es.
„Ich suche den Kontakt zu den Passagieren nicht. Aber wenn sie sich an mich wenden, dann bin ich immer noch für sie da.“ Von Zeit zu Zeit geschieht das. Dann hört Gabriele von Lutzau Geschichten über Alkoholismus, von Trennungen, von Brüchen in Biographien, von Menschen, die noch Jahre nach dem Drama zusammengebrochen sind und nicht wieder richtig auf die Füße kamen. Kaum einer ist wie sie in der Lage gewesen, auch Kraft und Lebensmut aus der Hölle von Mogadischu zu ziehen. Vielleicht kann sie die Haltung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt deshalb als richtig empfinden. „Die Landshut ist für mich ein Symbol für die Unerpressbarkeit des Staates“, sagte sie. Darum hat sie sich auch dafür eingesetzt, dass die ausgediente Maschine aus Brasilien nach Deutschland in ein Museum zurückgeholt wurde. Sie begleitete den Heimtransport. Und ehe das Flugzeug verladen wurde, stieg sie wieder durch den Notausgang, sprang wieder auf den Flügel, wie damals, vor 40 Jahren. „Das war für mich wie eine zweite Befreiung.“ Den Terroristen zu verzeihen, kommt für die international angesehene Künstlerin allerdings dennoch nicht in Frage. „Niemals.“