DJ-Oma „Mamy Rock“ ermutigt die Jugend

Hamburg (dpa) - In ihrem ganzen Leben habe sie sich noch keine Minute gelangweilt, sagt Ruth Flowers und strahlt aus ihrem Großmuttergesicht, das von hochtoupierten hellen Haaren und eckiger Riesensonnenbrille dekoriert wird.

„Das Leben ist nie langweilig. Es ist so viel los, es gibt immer viel zu tun“, meint die 72-Jährige aus Bristol, die als älteste DJane der Welt in der House-Club-Szene gefeiert wird. Am Donnerstagabend kam „Mamy Rock“ nach Hamburg, um vor mehr als 500 Gästen bei einer Veranstaltung unter dem Motto „Alter neu erfinden“ im Forum der Körber-Stiftung eine Stunde lang temperamentvoll zu performen.

Ob in den USA oder in Japan, im angesagten Pariser Club Queen oder Open Air in Brüssel vor dem Europäischen Parlament - Mamy Rock ist eine Dancefloor-Sensation, die die übliche Kluft zwischen den Generationen locker überbrückt. Rund 100 Gigs pro Jahr dürfen es schon sein. Am Samstag erscheint ihre zweite eigene CD mit dem Titel „69 Mamy Rock“ - ein koketter Flirt mit dem Alter, denn offiziell wird eine Lady ihres Kalibers eben niemals älter als 69. Ein Spielfilm über sie ist in Vorbereitung. Wie fühlt sie sich bei ihren lautstarken und heißen Auftritten am Mischpult, bei denen sie auch mal fetzig tanzt? „Glücklich“, sagt Flowers schlicht.

In goldener Glitzerjacke, pfundweise falschen Perlen und Brillanten und schwarzer Hose erzählt die Britin höchst plauderfreudig aus ihrem Leben, von dem sie sagt, dass es gut sei, „weil ich meine Talente genutzt habe“. Die Tochter eines Methodistenpredigers aus musikalischer Familie studierte Lied- und Operettengesang, heiratete früh, bekam einen Sohn und betrieb ein Stoffgeschäft. Bis heute ist Ruth Flowers auch noch als „public speaker“ aktiv - man kann sie buchen, damit sie, zum Teil in historischer Kleidung, Vorträge hält etwa über die sechs Frauen von König Heinrich XIII. oder ihren Lieblingsautor Charles Dickens.

Nach der Pensionierung ihres Mannes lebte Flowers einige Jahre in Portugal, war dort Pantomimetheater-Regisseurin, Sängerin und Gesangstrainerin. Zur elektronischen Tanzmusik fand sie 2005, als sie mit ihrem Enkel in London einen Club besuchte und den Sound mochte. Es gab einen Kontakt zum französischen Produzenten Orel Simon (29), der eine DJane aus ihr machte - der Durchbruch kam bei einem Auftritt vor VIPs in einer Villa bei den Filmfestspielen in Cannes 2009. „Es gibt zu viele traurige Witwen“, sagt Flowers und findet ihre Aktivitäten völlig normal, „solange man fit ist“. Ein Ende ihrer späten Musikkarriere wäre ihr dabei „völlig egal“.

„Meine Großmutter lehrte mich, niemals den Massen zu folgen“, erklärt die Exzentrikerin ihren Lifestyle. Heute sei es vor allem der Kontakt mit den jungen Leuten, der sie inspiriere - und umgekehrt sei es anscheinend genauso. „Die Generationen sollten viel mehr Zeit und Geduld miteinander haben, sich umeinander kümmern“, meint Flowers.

Den elektronischen Rock der Jugend liebt sie wegen seines Beats, man könne toll dazu tanzen - aber eben nur allein. „Zu meiner Zeit hatte man einen Partner, das war viel intimer“, sagt die Seniorin und lacht herzlich. Als Mamy Rock mixt sie Charterfolge mit Rockklassikern von Queen und den Rolling Stones zu ihrem persönlichen Signature-Stil. „Ich liebe viele der Freiheiten von heute“, resümiert die lebensnahe Dancefloor-Heldin ihre Erfahrungen, „doch manchmal wünsche ich den Jungen weniger Druck, alles ausprobieren zu müssen.“