„Do it Yourself“: Selbermachen 2.0 liegt im Trend
Frankfurt/Main (dpa/lhe) - Früher war Selbermachen ein Gebot der Not, heute ist es ein Ausdruck von Individualität. Von Vaters Werkzeugkeller zum Guerilla-Strick-Kommando hat die „Do it Yourself“-Bewegung einen weiten Weg zurückgelegt.
Der Motor ist das Internet.
Das Internet ist voll von Rezepten, Bastelanleitungen und Verkaufsplattformen für Selbstgemachtes. Wir erledigen unsere Überweisungen am heimischen Rechner, scannen unsere Waren an der Kasse und bauen unsere Möbel selbst zusammen. Und statt uns eine Enzyklopädie von Experten vorsetzen zu lassen, schreiben wir lieber selbst mit an „Wikipedia“. Eine Ausstellung in Frankfurt und Berlin beleuchtet das Phänomen Selbermachen 2.0.
„"Do it Yourself" ist heute ein Medien-Thema und daher bei uns gut aufgehoben“, begründete der Direktor des Frankfurter Museums für Kommunikation, Helmut Gold, die auf den ersten Blick erstaunliche Themenwahl des früheren Postmuseums. Die Ausstellung mit dem Untertitel „Die Mitmach-Revolution“ ist vom 25. August bis 19. Februar in Frankfurt und dann von März bis September 2012 in Berlin zu sehen.
Auch das Kelkheimer Zukunftsinstitut sieht das Internet als Triebfeder hinter dieser Entwicklung. Die Lust am Werkeln „wird befördert durch technologische Vernetzung“, sagt Geschäftsführer Andreas Steinle. „Wir sind nicht mehr auf uns allein gestellt, sondern können den Erfahrungsschatz von ganz vielen Leuten anzapfen.“ Auf YouTube finden sich Video-Anleitungen für nahe zu alles, was man selber machen kann - einschließlich Anleitungen zum Bombenbauen.
Dinge selber zu machen, ist beileibe keine neue Erfindung, im Gegenteil. Aber die Idee, die sich damit verbindet, ist heute eine andere, sagt Verena Kuni, Professorin für Visuelle Kultur der Frankfurter Goethe-Universität. Früher war Selbermachen aus der Not geboren. Selbstgebautes Spielzeug, selbstgenähte Kleider waren billiger als gekaufte. Erst die Befreiung von der Notwendigkeit machte er möglich, Leidenschaft dafür zu empfinden und es umzudeuten als Ausdruck von Kreativität: „Selbermachen als Selbstermächtigung.“
Ein weiteres Kennzeichen des netz-basierten Selbstmach-Trends ist der Spaß am Ironischen. Geheime Handarbeits-Kommandos umstricken Baumstämme im Park und häkeln Bronzestatuen bunte Stulpen ans Bein. Die Kollegen vom Guerilla-Gardening verstehen ihre Stadtbegrünung-Aktionen als zivilen Ungehorsam. Meist dauert es nicht lange, bis der Kommerz die subversiven Ideen aufgreift - wie im Falle der mit Filzer und Farbe beschmierten Punker-Jacken, die man heute so ähnlich auch in Edelboutiquen finden kann.
Die Industrie hat die Lust am Mitmachen erkannt und bietet manche Produkte in halbfertigem Zustand an. So verwischt Grenze zwischen Herstellung und Nutzung, aus Produzent und Konsument wird der „Prosument“. Schon in den 80er Jahren warb Thomas Gottschalk für Turnschuhe, deren Streifen individuell bemalt werden konnten. Die Ausstellung greift das auf und hat ein „Tüftlerlab“ eingerichtet, in dem die Besucher nach Lust und Laune basteln können.
Ist die neue Mitmachgesellschaft jetzt ein Fluch oder ein Segen? Für beide Seiten gibt es Argumente. Holm Friebe und Thomas Ramge deuteten die Entwicklung in ihrem Buch „Marke Eigenbau“ 2008 positiv als „Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion“. Günter Voß und Kerstin Rieder sahen es in ihrem Buch „Der arbeitende Kunde“ 2002 eher so, dass damit „Konsumenten zu unbezahlten Mitarbeitern gemacht werden“ (beide Bücher sind im Campus-Verlag erschienen).
Literatur:
- Friebe, Holm/Ramge, Thomas: Marke Eigenbau: Der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion, Campus Verlag, 288 S., 19,90 Euro, ISBN-13: 978-3593386751
Voß, Günter/Rieder, Kerstin: Der arbeitende Kunde: Wenn Konsumenten zu unbezahlten Mitarbeitern werden, Campus Verlag, 252 S, 19,90 Euro, ISBN-13: 978-3593378909