dpa-Interview: Wassersparer tun bei uns kein gutes Werk
Hamburg/Gießen (dpa) - Wassersparen war lange ein gesellschaftliches Ziel. Nun zeigen sich die Schattenseiten: Durch den geringeren Durchfluss gehen Leitungen kaputt, Keime und Gas bilden sich. Wassersparen mache in unseren Breitengraden daher wenig Sinn, erklärt Hans-Georg Frede, emeritierter Professor am Institut für Landschaftsökologie und Ressourcenmanagement der Universität Gießen.
Frage: Der Wasserverbrauch sinkt, der Wasserpreis steigt. Wie ist das zu erklären?
Antwort: Das hat nichts damit zu tun, dass Wasser bei uns ein knappes Gut wäre. In Deutschland haben wir Wasser im Überfluss und könnten theoretisch viel mehr verbrauchen. Es ist sogar so, dass Wassersparen unserem Leitungsnetz schadet. In Berlin ist der Wasserverbrauch in den vergangenen Jahren so stark zurückgegangen, dass durch die geringe Auslastung in den Kanälen Gase entstehen, die etwa den Beton der Leitungen angreifen. Beim Spazierengehen in Berlin merkt man das selbst: Bei gutem Wetter stinkt die Kanalisation bestialisch. Deshalb müssen die Abflüsse häufig künstlich gespült werden - mit Trinkwasser.
Frage: Manche fordern deshalb eine Wasser-Flatrate, damit die Kanäle durch einen höheren Durchfluss automatisch in Schuss gehalten werden. Wie stehen Sie zu dieser Idee?
Antwort: Kollegen aus der Siedlungswasserwirtschaft sind der Meinung, dass das durchaus mehr Sinn machen würde, als Wasser in Trinkwasserqualität durch die Leitungen zu spülen. Wichtig wäre aber, den Verbraucher genau darüber aufzuklären, dass er in unseren Breiten kein gutes Werk damit tut, wenn er Wasser spart.
Frage: Von der wassersparenden Waschmaschine bis zum Spülstopp in der Toilette - sind wir über Jahre hinweg einem Irrtum aufgesessen?
Antwort: Wassersparen wurde bei uns bis zur Perfektion getrieben, man muss nur in die Erdkunde-Bücher hineinschauen. Damit will ich nicht sagen, dass Schüler nun aufgefordert werden sollten, mehr Wasser zu verbrauchen. Wir müssen das Wasserproblem vielmehr regional differenzierter sehen. Weltweit gesehen ist Wassermangel ein zentrales Problem - vielleicht sogar unser größtes - und für viele ein Grund, ihre Heimat in Richtung wasserreichere Länder zu verlassen. Allerdings nützt es diesen Regionen mit extremer Trockenheit nichts, wenn wir unseren Wasserverbrauch hier in Europa für sie symbolisch zügeln.
Frage: ...wobei das, was aus dem Wasserhahn kommt, ja nicht unseren gesamten Verbrauch widerspiegelt. Für ein Baumwoll-T-Shirt sind bei der Erzeugung bekanntlich große Mengen Wasser nötig.
Antwort: Wenn wir ans Wassersparen denken, dann meinen wir damit in erster Linie unseren Wasserverbrauch zu Hause, also das Wasser, was wir auf der Wasseruhr ablesen. Das ist aber nur ein verschwindend kleiner Teil unseres Gesamtverbrauchs. Für die Erzeugung unserer Lebensmittel benötigen wir ein Vielfaches dieser Mengen. Um ein Kilogramm Getreide zu erzeugen, benötigen wir 1300 Liter Wasser. Für eine ausreichende Ernährung kommen insgesamt 1500 bis 1700 Kubikmeter Wasser pro Kopf und Jahr zusammen. In Deutschland ist diese Menge mehr als verfügbar.
Frage: Bei welchen Produkten macht es Sinn zu verzichten?
Antwort: Über unsere Essgewohnheiten importieren wir sehr viel Wasser nach Deutschland. Wir sprechen hier vom „virtuellen Wasserhandel“. In einer Tasse Kaffee stecken etwa 140 Liter Wasser - das ist umgerechnet die Menge, die durch das Bewässern des Kaffeebaums benötigt wurde. Kaffeetrinker sollten aber kein schlechtes Gewissen haben, weil die Pflanzen in Regionen mit ausreichenden Wasservorräten angebaut werden. Anders sieht es aus bei seltenen Obstsorten aus Afrika oder dem Soja, das wir aus Südamerika für die Tiernahrung einführen - oder Erdbeeren, die es im Winter in Supermärkten zu kaufen gibt. Hier können wir in der Tat Wasser sparen. Das ist wirksamer als die Wassermenge in der Toilettenspülung zu reduzieren.
ZUR PERSON: Prof. Hans-Georg Frede (66) ist Agrarwissenschaftler. Seit 1988 hatte er einen Lehrstuhl am Institut für Landeskultur an der Universität Gießen inne. Bis Ende März 2014, als er emeritierte, war er dort als Institutsleiter und Professor für Ressourcenmanagement tätig. Frede forscht weiterhin zu weltweiten Wasserproblemen - mit besonderem Blick auf China und Zentralasien.