Umgang mit dem Tod Drei gepackte Koffer – für den Tag ihres Todes
Düsseldorf · Die Düsseldorferin Mechthild Bücker ist bestens auf den Tag X vorbereitet. Das Ende und das Danach machen ihr keine Angst.
Nein, dass Mechthild Bücker ein verkrampftes Verhältnis zum Tod hätte, lässt sich nun wirklich nicht sagen. Auf dem Regal in ihrer Düsseldorfer Wohnung liegt nicht nur ein langer Sargnagel, den sie mal auf einem Friedhof gefunden hat. Daneben steht auch ein Totenkopf. Ja, ein echter. Der sei mal bei einer Umbettung von Gebeinen auf einem Friedhof in Ostfriesland übriggeblieben, erzählt sie. Und so steht er da auf dem Regalbrett, auf dessen Rand eine Zahl aufgeklebt ist: 2039. Das, so tippt die heute 70-Jährige, werde ihr Todesjahr sein.
Eben darauf ist sie bestens vorbereitet. Nicht nur die drei gepackten Koffer, die da zum Fototermin ausnahmsweise auf dem Bett in ihrer gemütlichen Wohnung liegen, sind Beleg dafür. Vielmehr ist es ihre beruhigend selbstsichere Art, die zeigt, dass das rechtzeitige Beschäftigen mit dem Tod auch gut für ein angstfreies Leben sein kann.
Doppelt verwitwet: Eine Frau, die weiß, wovon sie spricht
Mechthild Bücker hat Erfahrung mit dem Tod. Doppelt verwitwet ist sie. Zwei Ehemänner musste sie zu Grabe tragen. Beim ersten Mal war sie erst 27, ihr Mann starb mit 33 bei einem Unfall. Sie war gerade 50, das war 1999, als sie zum zweiten Mal Witwe wurde. Ihr 52-jähriger Mann erlitt einen Herzinfarkt. Kurz vorher habe er noch gesagt, er werde einkaufen gehen. „Da wurde mir so richtig klar: Es gilt, nichts mehr aufzuschieben. Ich werde nicht mehr sagen: Ich besuche dich mal, sondern: Du, passt es dir morgen? Ich warte nicht, bis ich den Brief bekomme, in dem steht: Leider verstorben.“ Wenn jemand sage, du hast doch noch so viel Zeit, dann antworte sie: „Nein, wir haben keine Zeit. Der Tod ist jeden Tag gegenwärtig, ich kann rausgehen, und dann war’s das. Heute könnte mein letzter Tag sein.“
Schon die Stunden und Tage nach dem Tod ihres zweiten Mannes waren ganz besonders. Bis zur Beerdigung, darauf bestand sie, sollte er bei ihr im Haus bleiben. Sie wollte ihn nicht in die Hände von „Fachleuten“ geben. Bis zum Begräbnis blieb der Leichnam in der Wohnung, Mechthild Bücker reaktivierte Rituale, die sie aus ihrer Kindheit kannte, bestellte einen Sarg, wusch und zog ihren Mann an. An mehreren aufeinanderfolgenden Tagen kam die Nachbarschaft, hielt Totenwache. Ihr Chor verlegte die Chorprobe in ihre Wohnung. „Und dann standen sie da, 16 Menschen, die um den Sarg mit meinem verstorbenen Mann Brahms sangen: Guten Abend, gute Nacht.“
Wie war das für sie, den Verstorbenen noch ein paar Tage bei sich zu haben? „Da sehe ich, wie er geht. Ich weiß, dass er tot ist, aber so begreife ich erst wirklich: So, wie er sich rein äußerlich verändert, muss er nun wirklich gehen, in eine andere Welt, ins Totenreich, das ist jetzt seine Welt.“
Der Tod, mit dem sie so selbstverständlich, so gelassen umgeht, ist Mechthild Bücker seit frühester Kindheit vertraut. Sie kommt aus einem kleinen Dorf in Ostwestfalen. „Da passierte nichts“, erzählt sie. Und der Tod, wenn er dort in der Nachbarschaft einschlug, war etwas, was man heute ein Event nennt. Ihre Mutter, die dort Hebamme war, brachte ihr die beiden Teile des so eng zusammenhängenden Themas besonders nahe: Wie komme ich auf die Welt und wie gehe ich aus der Welt. „Meine Mutter half den Kindern auf die Welt, und sie hat die Toten gewaschen. Das gehörte zum Berufsbild. Das hat auch mich geprägt. Und war aufregend für mich.“ War ein Kind gestorben, was bei der damals höheren Kindersterblichkeit öfter passierte, durfte sie zur Beerdigung ein weißes Engelchen-Kleid tragen. „Dann tust du ein gutes Werk für das Kind, du darfst die Totenkerze tragen“, habe ihre Mutter gesagt.
Was es mit den drei gepackten Koffern auf sich hat
Die beiden Lebenspole, wie sie es nennt, die Geburt und der Tod, haben Bücker ein Leben lang beschäftigt. „Geboren werden und sterben gehören zusammen“, sagt die Frau, die wie ihre Mutter Hebamme wurde, aber sich eben auch mit dem zweiten Lebenspol intensiv beschäftigt hat. Und da kommen dann auch die drei Koffer ins Spiel.
Es gibt da ein Projekt des (verstorbenen) Bergisch Gladbacher Bestatters Fritz Roth: Unter der Überschrift „Der Koffer für die letzte Reise“ sollten 100 Menschen Koffer packen, das hineintun, was sie auf ihre letzte Reise mitnehmen würden. Anonymisiert wurden die Koffer und ihr Inhalt in einer Vernissage gezeigt. Mal war es eine Flasche Rotwein, mal die Lieblingspuppe oder Fotos.
„Ich hatte damals auch einen gepackt“, sagt Bücker. „Zu überlegen, was ist mir wichtig, brachte mir schon viele Erkenntnisse.“ Eben diesen schwarzen Aktenkoffer hat sie auch heute noch. Ihre Nachkommen werden einmal sehr gut nachvollziehen können, was ihr wichtig war im Leben. Da sind Musiknoten von Haydn, von Mozart, Stücke die sie gesungen hat. Fotos der Kinder. Ein kirchliches Gesangbuch aus ihrer Jugend, CDs, Bücher, Briefe der Eltern.
Es gibt aber auch noch einen zweiten Koffer, den nennt sie den Sargkoffer. Darin: ein Stück Holz mit den darauf geschriebenen Namen der Enkelkinder und einem Zitat von Albert Einstein über den menschlichen Körper. Das Holz soll mit ins Grab. Und dann ist da ein rotes Kostüm und ein Schal, bedruckt mit Musiknoten. Ihre letzte Kleidung. Und die Noten eines Konzerts von Bach, das ein Jahr nach dem Tod vom Chor gesungen werden soll. Schließlich ein mehrseitiges Schriftstück: „Die Messe der Beerdigung meiner Mutter. Das soll 1:1 bei meiner Beerdigung übernommen werden.“ Mechthild Bücker kennt also auch schon ihre Begräbnisrede. Und: Auf dem Grabstein ihres Mannes steht bereits ihr Name, es fehlt nur noch das Datum.
Schließlich ist da noch ein dritter, ein roter Aktenkoffer, der Feuerwehrkoffer, wie sie ihn nennt. Darin Dokumente wie Versicherung, Rente, Stammbuch oder der Verweis auf das beim Notar liegende Testament etc. Eher so der praktische Koffer, den die Angehörigen nach dem Tod brauchen.
Übersehen können sie all das nicht. An der Wand hängt ein Zettel, der auf die drei Koffer hinterm Sofa hinweist. „Es ist vielleicht ein Spleen von mir“, sagt Bücker, „aber die Auseinandersetzung mit dem Tod gibt nicht nur meinen Kindern für den Tag X Sicherheit, sondern all das hilft auch mir selbst, gibt mir Sicherheit und Gelassenheit.“ Es helfe ihr dabei, ihr Leben zu verstehen. Und nie zu vergessen, wie fragil dieses Leben ist. Immer, an jedem Tag. „Diese Koffer erinnern mich daran. Und mahnen, das nun mal nicht wiederholbare Leben wertzuschätzen.“
Sterbekleid der Schwiegermutter hing wochenlang im Zimmer
Eine Gelassenheit, die ansteckend sein kann. Bücker berichtet von dem Tod ihrer Schwiegermutter im Altenheim: Dort werde „munter gestorben, aber es gilt das Motto: Nicht drüber sprechen“, kritisiert sie. Sie aber habe mit ihrer Schwiegermutter nicht nur den letzten Schluck Sekt getrunken, sondern auch das Sterbekleid ausgesucht, das wochenlang gegen den Protest der Angestellten im Zimmer hing. Sie bestand darauf, dass der Sarg mit der Toten nicht wie sonst üblich im Dunklen abtransportiert wurde, sondern ganz offen, am Tag. „Da haben sie Spalier gestanden, die alten Menschen“, freut sich Bücker noch heute. Und gesagt: „So würde ich auch gern geehrt werden.“
Und danach? Kommt da noch was nach dem Tod? Bei dieser Frage überlegt die Frau, die so vielen Kindern ins Leben geholfen hat, keine Sekunde. „Auf jeden Fall. Mein Mann hat immer gesagt: Materie verändert sich, verwandelt sich in etwas anderes. Das kann nicht weggehen. Selbst wenn das nicht stimmt, so ist es doch ein schöner Trost, daran zu glauben.“