Ein Blumenmeer zur Trauer um Knut-Ziehvater Dörflein
Die Medienpsychologin Katrin Döveling nennt als Grund für diese kollektive Trauer den „Diana-Effekt“. Durch die Berichte über Knut und seinen Ziehvater hätten viele Menschen so etwas „wie Intimität aus der Distanz“ zu Dörflein aufgebaut.
Berlin. Dutzende von Grabkerzen flackern vor und imBerliner Zoo im Sonnenlicht. Auch eine knappe Woche nach seinemplötzlichen Tod ebbt die Trauer um Thomas Dörflein, den Ziehvater desBerliner Zoo-Lieblings, Eisbär Knut, nicht ab. Betroffene Menschenstellen am Samstag still immer neue Sträuße und Briefe in dasBlumenmeer vor dem Nebeneingang des Zoos und vor Knuts Gehege.
Der44-jährige Dörflein war am vergangenen Montag überraschend an einemHerzinfarkt infolge einer Thrombose gestorben. Auf den zahlreichen anGitter und Absperrung befestigten Zetteln und Fotos steht immer wieder„Danke“.
„Danke, dass Du Knut ein Leben geschenkt hast“, „Danke, dass Du so eingroßartiger und warmherziger Mensch warst“, heißt es dort. Vor demGehege des inzwischen fast 22 Monate alten und gut 200 Kilogrammschweren Eisbären stehen an die 30 Menschen und tauschen sich über ihreErfahrungen mit Knut und Dörflein aus.
Viele Berliner sind fast täglichda gewesen. Sie haben sich am „einmaligen Zusammenspiel von Tier undPfleger einfach nur erfreut und sie beide ins Herz geschlossen“, wieAnnegret Dörpel (42) sagt.
Nach Ansicht von Erika Atze (73) ist „Dörflein einem so ans Herzgewachsen, weil er sich von Anfang an so um den kleinen hilflosen Kerlgekümmert hat. So etwas haben wir doch noch nie gesehen, wie so einkleiner Eisbär heranwächst. Weil es auf Video gefilmt wurde, konntenwir alles verfolgen, wie er trinkt, wie er gehen lernt.“
Fast fünf Monate lang hatte sich der Tierpfleger rund um die Uhr um daserste Eisbärbaby im Berliner Zoo seit 33 Jahren gekümmert. Dörflein zogins Bärenrevier, um den von seiner Mutter Tosca verstoßenen Winzlingmit der Flasche groß zu ziehen. Die Videobilder von Tierarzt AndréSchüle ermöglichten einen bis dahin unbekannten Einblick in dieKinderstube eines der bedrohtesten Raubtiere der Erde.
Die Bilder vondem weißen Wollknäuel auf dem Schoß von Thomas Dörflein lösten einenHype aus. Zum ersten öffentlichen Auftritt von Knut und Dörflein am 23.März 2007 reiste die Weltpresse aus Japan, USA, Australien, Neuseeland,Südafrika, Pakistan und Europa an.
Für diese ungeheure Aufmerksamkeit hat Schüle eine eigene Erklärung.„Die Öffentlichkeit hatte die Schnauze voll von Nachrichten überKriege, Terror und Tod“, sagt der Tierarzt in dem RBB-Dokumentarfilm„Verrückt nach Knut“.
„Es gibt nichts Schöneres, als dass sich einPfleger eines Eisbärbabys annimmt und versucht, es durchzubringen unterEinsatz seiner kompletten Freizeit.“ Die Menschen seien verrückt nachdieser „Mensch-Tier-Beziehung gewesen: Was macht Knut mit ThomasDörflein und umgekehrt“.
Die ungeheure Wirkung der Medien spiegelte sich auch im Internet.Weltweit kommunizierten die Blogger-Knut-Fans und kommentierten jedesneue Bild und Video von Knut. Aus vielen Ländern gehen jetzt auchTausende Beileidsbekundungen ein.
Die Medienpsychologin Katrin Dövelingnennt als Grund für diese kollektive Trauer den „Diana-Effekt“. Durchdie Berichte über Knut und seinen Ziehvater hätten viele Menschen soetwas „wie Intimität aus der Distanz“ zu Dörflein aufgebaut, erläutertdie Wissenschaftlerin in einem dpa- Gespräch.
„Dörflein hatte so etwas wie eine Stellvertreter-Position für alle, diegern selbst mit dem kleinen Eisbären geknuddelt hätten“. Zudem seiDörflein sympathisch und authentisch gewesen. „Man kann mit etwas, dasals moralisch für gut befunden wird, auch sehr gut mitfühlen“, sagtDöveling, die ähnliche Effekte bereits nach dem Tod von PrinzessinDiana und Papst Johannes Paul II untersucht hat.
Auch Willy Gröck erklärt sich die große Anteilnahme der Öffentlichkeit„mit dem Menschen“ Dörflein. „Er war so bescheiden. Wir leben doch ineiner Welt, wo jeder nur noch an Geld denkt und meint, nur damitglücklich zu werden“, sagt der Rentner. Das sieht auch Erika Atze so.„Dörflein mochte doch den ganzen Rummel um seine Person nicht. Er hatdas alles für Knut gemacht und kein Geld daraus geschlagen. Der hättedoch reich werden können.“
Die große Bestürzung über den Tod Dörfleins ist für seine Mutter einkleiner Trost. Sie empfinde nur „tiefe, tiefe, tiefe Trauer“ über denVerlust ihres Sohnes, sagt Erika Dörflein in einem dpa-Gespräch.„Thomas war ein Sohn, wie man sich den wünscht. Er war so ein Lieber,nicht nur für die Tiere, sondern auch privat.“
Doch auch Dörflein habemit Knut so viel gelernt, sagt die 71-Jährige. Durch den Medienrummelum Knut und ihn habe ihr Sohn gelernt, „dass man in dieser Welt nichtgut leben kann, wenn man nicht tough ist“.