Eine Spritztour am Simulator
Seminar soll älteren Menschen die Angst nehmen, Defizite aufzeigen und diese verringern.
Bad Salzuflen. Mit einem lauten Knall hat Wolf Kramer gerade ein weißes Auto gerammt. Klarer Fall von Missachtung: Der Wagen kam von rechts und hatte Vorfahrt. Doch der 70-Jährige bleibt gelassen. Er rückt seine Brille zurecht, schaltet in den ersten Gang und gibt wieder Gas. Auch Botho Eckert (76) ist heute schon fünf Mal von der Fahrbahn abgekommen, fährt aber unbeirrt weiter.
Vor der Fahrt hatte er extra seine dunkle Schirmmütze abgenommen - wegen der besseren Sicht. Nach 2,6 Kilometern steigen beide aus. Dann ist die Spritztour im Fahrsimulator vorbei. Damit testet die Polizei im Rathaus von Bad Salzuflen die Senioren hinterm Steuer. Das Angebot ist nach Angaben der Organisatoren bundesweit einmalig.
Nun ist die Fahrt im Simulator auch für gestandene Autofahrer oft gewöhnungsbedürftig. "Das war mein erster Unfall", sagt Kramer zu seiner Ehrenrettung. Doch hat ein Großteil der Senioren auch im realen Straßenverkehr ernsthafte Schwierigkeiten zu meistern. "Schlecht gucken, schlecht hören und schlecht bewegen" - hier macht Verkehrssicherheitsberater Frank Walkmann die Kernprobleme der Senioren aus. Der Polizei gehe es beim Seminar keinesfalls darum, jemanden bloßzustellen oder vom Autofahren abzuschrecken. "Wir wollen den älteren Verkehrsteilnehmern die Angst nehmen, Defizite aufzeigen und bekämpfen", sagt Walkmann.
Dass ganz kleine Schritte schon hilfreich sein können, weiß er aus Erfahrung: Oft sei der Sitz falsch eingestellt, neue Schilder seien unbekannt. Ein Teilnehmer hat sich mal über die Kälte im Auto beschwert. Ihm hat Walkmann geduldig die Klimaanlage erklärt. "Die kennen die Technik am eigenen Auto nicht."
Nach einem Vortrag über Neuerungen im Verkehrsrecht teilen sich die 21 Senioren in drei Gruppen auf. Eine diskutiert Verkehrsregeln, eine geht auf Entdeckungstour der Technik am eigenen Auto, die dritte übt im Fahrsimulator Geschwindigkeiten einzuhalten oder schnelles Bremsen bei Wildwechsel. Einer, der die Übung gelassen angeht, ist Horst Büschenfeld.
Mehr als fünf Millionen Kilometer habe er in 53Jahren Führerscheinbesitz schon auf der Straße verbracht, erzählt der frühere Fernfahrer. Dennoch nehme er regelmäßig an Fahrsicherheitstrainings teil. "Ich lerne aber auch immer wieder Neues." Mit 1,39 Sekunden ist seine Reaktionszeit immer noch spitze, urteilt der Polizist.
Wie wichtig solche Auffrischungskurse sind, machen die jüngsten verfügbaren Zahlen des Statistischen Bundesamts deutlich: 27 151 Autounfälle mit Personenschaden wurden 2007 von Senioren verursacht - etwa zwölf Prozent aller Kollisionen auf deutschen Straßen. "Das sind seit Jahrzehnten steigende Zahlen", so Walkmann.
Besonders brisant sei, dass ältere Menschen meist dieselben und vor allem kurze Strecken zum Arzt oder Einkaufen fahren. Verglichen mit Berufspendlern, die täglich viele Kilometer auf der Autobahn zurücklegen, sei die Unfallquote alarmierend hoch.
Anders sieht das der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC): "Im Gegensatz zu Fahranfängern sind Senioren überhaupt kein Problem im Straßenverkehr", meint Andreas Hölzel. Langjährige Fahrer machten ihre Defizite etwa im Bereich Motorik durch Erfahrung und Ruhe wett.
Ihre Fahrtauglichkeit infrage zu stellen, würde seiner Meinung nach bedeuten, den Senioren auch die Teilnahme am sonstigen Leben zu nehmen. Der ADAC-Verkehrsexperte findet Seminare wie das Modell der Kreispolizei Lippe aber vom Ansatz her gut: "Schaden tut so ein Kurs bestimmt nicht." Nur zur Pflicht solle er nicht werden.
Das Projekt findet großen Anklang. "Auch andere Polizeidirektionen sind schon auf uns zugekommen", freut sich Walkmann über den Erfolg seines Projekts. Mittlerweile hat er schon zwei Mal Kollegen aus anderen Städten geschult. Nordrhein-Westfalens Innenministerium sei ebenfalls auf ihn aufmerksam geworden und wolle das Seminar flächendeckend einführen.