Eine Stadt versinkt im Erdboden
Bytom in Schlesien sackt ab. Grund ist der intensive Bergbau. Anwohner müssen wegziehen, Hunderte sitzen auf gepackten Koffern.
Bytom. Bürgersteige und Straßen senken sich ab, Hauswände sind von Rissen übersät, Wasserrohre bersten: Im schlesischen Bytom tut sich buchstäblich die Erde auf und droht einen ganzen Stadtteil zu verschlingen. Grund sind jahrzehntelange Bergbauarbeiten in dem südpolnischen Steinkohlerevier.
Nun hat das Zusammenspiel mit der aktuellen Förderung verheerende Folgen: Der Boden sackt ab, kleine Beben erschüttern das Gebiet. „Tag und Nacht kracht es hier im Gebälk. Fenster, Fliesen, Möbel — alles kaputt“, berichtet Wieslaw Sowa aus dem vom Untergang bedrohten Bezirk Bytom.
Die Menschen in dem Viertel schwanken zwischen Wut und Angst. „Wir trauen uns nachts nicht mehr, schlafen zu gehen. Man kann hören, wie die Wände aufbrechen“, erzählt Karina Libera. Am vergangenen Freitag seien in ihrer Wohnung Teile der Kückendecke heruntergekommen und hätten um ein Haar ihren Hund erschlagen. Die Nachbarn empören sich: „Wenn uns die Grubenbetreiber die Häuser kaputt machen, sollen sie uns gefälligst neue bauen.“
Verantwortlich ist die Zeche Bobrek-Centrum. „Wir besitzen alle Genehmigungen, zahlen Steuern und geben viel Geld aus, um die Schäden zu liquidieren“ , sagt Unternehmenssprecher Jan Czypionka. „Die Folgen über Tage werden noch bis zum Ende des Winters zu spüren sein. Anschließend beginnen wir mit den Renovierungsarbeiten.“
Für die Bürger in Bytom heißt das, dass sie „ein halbes Jahr lang auf gepackten Koffern schlafen“ müssen, wie Anwohner klagen. Die Stadt begutachtet die Lage und evakuiert nur jene Häuser, die akut einsturzgefährdet sind. Betroffene finden bei Verwandten oder in Hotels Unterschlupf. Die Kosten übernimmt der Grubenbetreiber.
„Die Situation ist dramatisch, aber wir haben keinen Einfluss auf die Vergabe der Förderkonzessionen durch die Regierung“, sagt Bytoms Stadtsprecherin Katarzyna Krzeminska und schiebt den Schwarzen Peter weiter. Auf die Genehmigungen beruft sich auch das Unternehmen, das mit 3400 Bergleuten der größte Arbeitgeber der Region ist. Bis 2026 darf die Zeche Kohle ausbeuten.
Die Regierung in Warschau vertraut bislang der Expertise der Fördergesellschaft — trotz der überall sichtbaren Schäden. Große Teile der 180 000-Einwohner-Stadt haben sich seit Beginn der Förderarbeiten vor 60 Jahren um sieben Meter abgesenkt.
Die Folgen sind nicht nur in Bytom spürbar: Denkmalgeschützte Gebäude im Zentrum neigen sich oder zeigen Risse. Auch eine zentrale Brücke ist einsturzgefährdet.
Die aktuelle Zuspitzung der Lage in Bytom begann im Juli, als in der Grube in 650 Metern Tiefe die Erde bebte. Grubensprecher Czypionka gibt sich davon unbeeindruckt: Ein Zusammenhang sei unwahrscheinlich. Der Ort des Bebens sei mehrere Kilometer von Karb entfernt. Und: „Ich habe keine guten Nachrichten für die Einwohner von Bytom. Bis 2020 werden wir weitere neun Stollen unter der Stadt eröffnen und ausbeuten.“