Einsperren der Frau in Rosenheim war womöglich keine Straftat
Rosenheim (dpa) - Nach der Befreiung einer völlig verwahrlosten und geistig behinderten jungen Frau aus einer Wohnung in Rosenheim hat die Staatsanwaltschaft vor voreiligen Schuldzuweisungen gewarnt.
„Nach dem bisherigen Kenntnisstand ist es noch nicht sicher, ob zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für strafbare Handlungen vorliegen“, sagte Oberstaatsanwalt Jürgen Branz. Branz sprach von einer menschlichen Tragödie.
Polizisten hatten am Dienstag das verschlossene Zimmer der 26-Jährigen aufgebrochen, nachdem sich die Mutter unmittelbar vor der Zwangsräumung ihrer Wohnung in Selbstmordabsicht im Treppenhaus in die Tiefe gestürzt hatte. Die 54-Jährige liegt schwer verletzt im Krankenhaus, ihre Tochter wurde in eine psychiatrische Klinik gebracht. Der deutlich jüngere Bruder der 26-Jährigen, der ebenfalls in der vermüllten Wohnung lebte, wurde andernorts untergebracht.
Oberstaatsanwalt Branz verwies darauf, dass die Mutter die gerichtlich bestellte Betreuerin ihrer Tochter sei. Deshalb war möglicherweise ein Einschreiten von Sozialbehörden in dem Fall gar nicht geboten. Wie es zudem in Ermittlerkreisen hieß, ist die 26-Jährige an Autismus erkrankt und extrem aggressiv gegenüber Fremden. Dies könnte ein Grund dafür sein, warum die Mutter sie nicht aus der Wohnung ließ.
Die Kriminalpolizei kündigte umfangreiche Ermittlungen zu den Hintergründen des Falles an. Vor allem müsse herausgefunden werden, wie lange die junge Frau in der Dachgeschosswohnung auf diese Weise leben musste „und ob sie tatsächlich eingesperrt war“, sagte Polizeisprecher Stefan Sonntag. Dazu sollen auch Nachbarn der Wohnanlage in Rosenheim befragt werden. Die Kripo steht mit den zuständigen Behörden in Kontakt. Die 54-Jährige und ihre Tochter waren zunächst nicht vernehmungsfähig.