Essbare Sonderlinge: Lauter krumme Dinger
Möhren mit drei Beinen oder verdrehte Gurken wandern nicht länger in den Müll, sondern auf die Teller. Motto: Esst die ganze Ernte!
Berlin. Zwei Berliner Produktdesignerinnen haben ein Herz für krumme Dinger. Lea Brumsack und Tanja Krakowski arbeiten mit Obst und Gemüse, das so schief oder anders aussieht, dass es aussortiert, vom Bauern an die Schweine verfüttert oder untergepflügt wird. Dabei schmecken Möhren mit drei Beinen, Schlängel-Gurken und Rote Bete in XXL genauso gut wie das Norm-Gemüse — wenn nicht sogar besser. „Esst die ganze Ernte“, das ist die Botschaft der Unternehmerinnen von „Culinary Misfits“.
Misfits (Außenseiter, Sonderlinge), die gibt es auf dem Feld zuhauf. Zu klein, zu groß, zu krumm, zu unperfekt für den Einzelhandel: Nach einer Studie der Welternährungsorganisation landet etwa ein Viertel der Obst- und Gemüseernte in Europa deshalb nicht beim Verbraucher, sondern im Müll.
„Wir wollen diese kulinarischen Sonderlinge salonfähig machen“, sagt Tanja Krakowski. „Wir betonen ihre Eigenart und präsentieren sie als verborgene Schönheiten.“ So kommen die „Culinary Misfits“ wie Kunstobjekte daher — auf Spießen, als Häppchen, als Eingemachtes. „Das ist unsere Art, auf die Lebensmittelverschwendung aufmerksam zu machen“, sagt Lea Brumsack.
Aus den Aktivitäten an der Schnittstelle von Design und Kulinarik ist ein Geschäft geworden. Vor allem der Partyservice der „Culinary Misfits“ ist gefragt: Büfetts aus Möhrenhappen mit rosa Pfeffer, aus blauen Schweden (eine alte Kartoffelsorte) mit Kürbismus und Pastinaken-Apfel-Muffins. Tanja Krakowski und Lea Brumsack sind beim Backen und Kochen ausgesprochen experimentierfreudig, und das kommt bei der Kundschaft gut an.
Angefangen hat das Projekt mit einem Verkaufs-Wägelchen in einer Markthalle. Der nächste Schritt ist ein Ladenlokal in Berlin-Kreuzberg oder Neukölln, um die Sonderlinge in Form kleiner Gerichte an den Mann und die Frau zu bringen.
Brumsack und Krakowski arbeiten mit Bio-Bauern in der Nähe Berlins zusammen. Das Gemüse bekommen sie meist zu Großhandelspreisen. Sie holen vom Hof oder auch vom Acker, was aussortiert werden muss. Zum Beispiel bei Landwirt Christian Heymann, der, wie er sagt, bei der Kartoffelernte rund 40 Prozent Ausschuss hat, weil der Einzelhandel die Knollen nicht will. Oder von einem Hof in Teltow, der unter anderem die brandenburgische Spezialität Teltower Rübchen anbaut.
Die Frauen haben sich viel mit Nachhaltigkeit und regionalen Lebensmitteln befasst. Lea Brumsack war erschrocken, dass Ware von Neuseeland bis Berlin 18 250 Kilometer unterwegs ist. Warum schief Gewachsenes so selten im Handel landet? „Man sucht sich das Schönste aus, weil man dafür bezahlt.“
„Die Sensibilisierung für die Verschwendung von Lebensmitteln wird in der Bevölkerung stärker“, ist ihre Erfahrung. Die Bundesregierung hat vor einiger Zeit die App „Zu gut für die Tonne“ mit Kochrezepten fürs Internet-Handy vorgestellt. Sie soll den Berg an Lebensmittelabfällen verringern helfen. Im Schnitt werfen Deutsche 81,6 Kilogramm Lebensmittel im Jahr weg, ein Großteil wäre noch genießbar.
„Taste the Waste“ (Probier den Abfall) heißt ein Buch über Food-Aktivismus, das auch den „Culinary Misfits“ ein Kapitel widmet. Im Gegensatz zur Öko-Bewegung der 1980er Jahre ist die ästhetische Komponente dabei der Denkansatz. Einfach 200 Liter Öko-Kürbissuppe zu kochen, ist zu wenig. Es soll auch hübsch aussehen und eine Geschichte erzählen. Die menschliche Parallele liegt auf der Hand: „Äußerlich wie innerlich ist niemand perfekt“, sagen die Unternehmerinnen. „Damit spielen wir auch.“
Die beiden können übrigens gut mit der Vorstellung leben, dass in zehn Jahren krummes Gemüse im Handel üblich ist: „Dann ist das Ziel erreicht.“