ETA-Opfer: Das neue Leben der Irene Villa
Vor 20 Jahren verlor die damals 13-Jährige bei einem Autobombenanschlag beide Beine — heute hilft sie anderen.
Madrid. In Spanien kennt sie jeder. Wenn Irene Villa über die Straße geht, wird sie regelmäßig von Passanten angesprochen. „Hallo Irene, wir wünschen dir viel Kraft“, sagen ihr die Leute. Oder: „Wir haben dich aufwachsen sehen und denken oft an dich.“ Irene Villa ist in Spanien prominent, sie wurde vor mehr als 20 Jahren mit einem Schlag landesweit bekannt. Es war der 17. Oktober 1991, als auf ihrem Schulweg eine Bombe unter dem Auto ihrer Mutter explodierte.
Drei Tage lang lag Irene im Koma, bevor sie in ihrem neuen Leben erwachte: Der Anschlag der baskischen Terrororganisation Eta hatte Irene beide Beine und drei Finger einer Hand gekostet. Ihre Mutter war Verwaltungsangestellte in der Madrider Polizeidirektion und so ins Fadenkreuz der Eta geraten.
„Es war natürlich ein Schock, als ich im Krankenhaus davon erfuhr“, erzählt sie heute, mit 33 Jahren. Ganz Spanien erschütterte das Schicksal des Mädchens; die Fassungslosigkeit über die sinnlose Gewalt im baskischen Kampf für Unabhängigkeit bekam mit Irene ein junges, unschuldiges Gesicht.
Irene Villa
Auf ihrem Weg zurück ins Leben half auch ihre Mutter, die mit ihr im Auto saß, als die Bombe explodierte. „Sie hat es schlimmer erwischt als mich, sie hat bei dem Attentat ein Bein und einen Arm verloren“, erzählt Irene. „Als wir uns das erste Mal nach dem Anschlag wiedersahen, hat meine Mutter zu mir gesagt: Irene, wir haben zwei Möglichkeiten: Entweder wir leben verbittert vor uns hin, oder wir tun so, als wären wir so geboren worden.“
Irene kehrte im Rollstuhl an die Schule zurück, nach einem Jahr konnte sie mit Hilfe ihrer Prothesen wieder laufen, machte ihren Schulabschluss und studierte Journalismus, Psychologie und Geisteswissenschaften. Heute schreibt sie eine wöchentliche Kolumne in der überregionalen Tageszeitung La Razón, ist Radiojournalistin und hat ein Buch veröffentlicht. Auch arbeitet sie als Motivationstrainerin und hilft anderen Menschen, die wie sie durch Schicksalsschläge Gliedmaßen verloren haben, nicht aufzugeben. Sie nennt sich eine „Werte-Vermittlerin“.
Nachdem sie jahrelang ohne Hilfsmittel auf ihren Prothesen unterwegs war, braucht Irene seit einigen Wochen wieder einen Gehstock, bald sogar wieder einen Rollstuhl zur Fortbewegung. Der Grund dafür ist jedoch erfreulich: An der Seite ihres argentinischen Ehemannes Juan Pablo erwartet sie im Sommer die Geburt ihres ersten Sohnes. In den letzten Wochen der Schwangerschaft wird sie mit ihren Prothesen nicht mehr laufen können. Das stört sie aber wenig. „Durch die Vorfreude auf mein Kind hat sich mein Optimismus vervielfacht.“
An die Beine, die sie bis vor ihrem 13. Geburtstag durchs Leben trugen, kann sich Irene Villa heute nicht mehr erinnern. „Ich weiß nur noch, dass ich mit zwölf Jahren schon Schuhgröße 41 hatte.“ Wie wäre ihr Leben ohne den Anschlag verlaufen? „Ich wäre nicht mehr und nicht weniger glücklich. Aber ich wäre nicht so viel rumgereist und hätte auch nicht so viel studiert. Mein Leben wäre nicht so tiefgründig verlaufen.“