Extremschwimmerin Tunnicliffe: „Das Erlebnis ist jedes Autsch wert“

Sarah Tunnicliffe ist durch den Ärmelkanal geschwommen: „Ich habe immer an die nächste Mahlzeit gedacht.“

London. Er ist seit fast 140 Jahren der Mount Everest für Schwimmverrückte: Der Ärmelkanal lockt jeden Spätsommer Dutzende gestählter Abenteurer, die bei Dover in die kalten Fluten springen. 33 Kilometer Luftlinie bis Frankreich liegen vor ihnen, die meisten erreichen das andere Ufer nicht. Die Britin Sarah Tunnicliffe (38) hat den Badekappen-Marathon jedoch gemeistert.

Frau Tunnicliffe, was hat Sie bloß bewegt, in 15 Grad kaltes Wasser zu steigen?

Sarah Tunnicliffe: Ich bin immer gern geschwommen, aber als besonders sportlich würde ich mich gar nicht bezeichnen. Die Idee begann ganz klein, als ich 2010 aus Spaß an einem Staffelschwimmen teilnahm. Beim nächsten Mal war die Distanz schon länger, ich traute mir mehr zu. Dann erkrankte meine Schwägerin an Leukämie. Da wurde mir bewusst, dass man Träume nicht immer auf einen Wunschzettel für Irgendwann schreiben sollte. Ich buchte also einen Startplatz für die Kanalquerung.

Quallen, Frachter, Strömung — kann man für den Ärmelkanal überhaupt trainieren?

Tunnicliffe: Ich habe zwei Jahre lang trainiert, sechs Tage die Woche — Schwimmen und Muskelaufbau. Abgehärtet habe ich mich im elf Grad kalten Wasser der Irischen See, die so turbulent wie eine Waschmaschine ist. Manchmal fragt man sich schon, ob man eigentlich verrückt ist.

Wie überlebt man 16 Stunden und 35 Minuten im kalten Wasser?

Tunnicliffe: Schwimmen, schwimmen, schwimmen! Natürlich müssen Sie den Körper vorher an die Temperaturen gewöhnen. Ich habe viel trainiert und den Alkohol ganz aufgegeben. Und die Crew im Beiboot ist wichtig: Sie achtet auf die Sicherheit, hat mir jede Stunde Flüssignahrung per Schlauch ins Wasser gereicht. Ich hatte nie die Gesamtstrecke vor Augen, sondern immer nur die nächste Mahlzeit.

Was ist, wenn man unterwegs mal muss?

Tunnicliffe: Sie müssen sogar müssen! Der Körper soll Urin ausscheiden, um bei der Belastung funktionstüchtig zu bleiben. Ab ins Wasser damit! Bei größeren Sachen müssen Sie den Badeanzug kurz zur Seite ziehen und die Crew muss sich umdrehen.

Was hat Ihnen alles wehgetan, als Sie ankamen?

Tunnicliffe: Arme und Schultern konnte ich zum Jubeln jedenfalls nicht mehr bewegen. Zwei Tage lang hatte ich starke Schmerzen. Aber die Erfahrung war jedes einzelne Autsch wert: Im Alltag lernen Sie ja nichts über Ihre eigenen Grenzen.