Missbrauchsprozess in Freiburg Fall Staufen: Prozess offenbart Martyrium eines Jungen
Freiburg (dpa) - Sie würdigen sich keines Blickes. Nacheinander werden die beiden Hauptangeklagten im Missbrauchsfall von Staufen am Montag in den großen Gerichtssaal des Landgerichts Freiburg geführt.
Erst der 39-Jährige, dann seine 48-jährige Freundin und Mutter des Kindes.
Ein Paar, das den heute neun Jahre alten Jungen für Sex nach Belieben benutzt und anderen Männern für Sex mehr als zwei Jahre lang überlassen haben soll. Die Liste der Vorwürfe ist lang: Allein die Verlesung der mehr als 100 Seiten umfassenden Anklageschrift zum Prozessauftakt dauert mehr als drei Stunden.
Auf sie, die 48-Jährige, richtet sich das Augenmerk: Die Mutter, die ihr eigenes Kind auch selbst regelmäßig missbraucht und vergewaltigt haben und weiteren Männern dabei tatkräftig zur Seite gestanden haben soll. Zusammen mit ihrem einschlägig vorbestraften Lebensgefährten sitzt sie auf der Anklagebank. Laut Anklage hat er die Akzeptanz seiner pädophilen Neigung zur Bedingung für eine Beziehung gemacht.
Geduckt und mit bleichem Gesicht schleicht sie nach dem 39-Jährigen herein. Das schüttere, dünne Haar ist im Pferdeschwanz gebunden, der Blick gesenkt. Minutenlang klicken die Kameras der Journalisten, sind Fernsehkameras auf die beiden Deutschen gerichtet. Sie beantragt, unter Ausschluss der Öffentlichkeit gehört zu werden.
Ihn, den unter den Decknamen „Papa mit Sohn“ und „geiler Daddy“ im Darknet aktiven 39-Jährigen, kennt die Justiz bereits. Der Mann hatte schon in vorangegangenen Prozessen rund um den Fall gegen Freier des Kindes und einen weiteren Sexualstraftäter ausgesagt. Selbstgefällig wirkend, ohne sichtbare Scham oder Reue, ausgestattet mit einer gehörigen Portion Geltungsbedürfnis, hatte er dort eigene Taten schon eingeräumt und mitgeteilt, dass er auch die mutmaßlichen Mittäter im Gefängnis sehen wolle.
Lässig zurückgelehnt verfolgt er nun den eigenen Prozess und sagt später auch aus. Er hatte eigentlich ebenfalls den Ausschluss der Öffentlichkeit beantragt, zieht dies dann jedoch zurück. Er berichtet mit leiernder Stimme über seine angeblich desolate Kindheit, wechselnde Beziehungen zu Frauen und erste Kontakte mit der pädokriminellen Szene, erste Taten. Er selbst sei bei einer Vergewaltigung gezeugt und als Kind auch missbraucht worden.
Mehr oder weniger zufällig habe sich über die Bekanntschaft zur Mutter die Gelegenheit zum dauerhaften Missbrauch des Kindes ergeben, sagt der 39-Jährige. Der Junge habe ihm vertraut. „Er ist mir definitiv nicht egal.“
Die Mutter des Opfers und ihr Lebensgefährte hätten sich Ende 2014 oder Anfang 2015 bei der Tafel kennengelernt, sagt die Staatsanwältin. Die schweren Sexualstraftaten beginnen dann rasch. Erst soll eine Dreijährige, Tochter einer Bekannten, missbraucht worden sein. Wenig später nur noch der Junge. Mehr als zwei Jahre lang soll er seinen Peinigern ausgeliefert gewesen sein, wird anderen Männern zum Vergewaltigen und Ausleben ihrer Sexfantasien überlassen, wird regelrecht verkauft.
Die schier endlos erscheinende Anklageschrift verlesen zwei Staatsanwältinnen abwechselnd. Der Junge wird mit harschen Worten wie „Halt die Fresse“ eingeschüchtert und gefügig gemacht, er wird mit üblen Schimpfwörtern belegt. Er wird gedemütigt, erniedrigt und bedroht, er wird geschlagen. Einmal muss er nackt ein Schild in die Höhe halten für einen Kunden mit der Aufschrift: „Hallo“. Die Mutter soll die Täter mitunter angefeuert haben.
Der Junge leidet Schmerzen, er hat Angst, er muss Strumpfmasken, Handschellen, eine Sturmhaube tragen. Die Fantasie der Verdächtigen ist so unerschöpflich wie die Taten unfassbar. Neben dem Publikum haben auch im Saal anwesende Gerichtsbedienstete Mühe, ihr Entsetzen zu verbergen.
Die großen körperlichen Schmerzen des Jungen, sein offensichtlicher Ekel bis hin zum Brechreiz, seine Abwehr und Panik - all das interessiert die Täter laut Anklage nicht im Geringsten. Auf Filmaufnahmen, so liest es die Staatsanwaltschaft weiter vor, ist zu sehen, wie das sich sträubende Kind festgehalten wird, wie es geschlagen, unterworfen und gezwungen wird: Das zu tun, was Mutter und Männer wollen. Am Anfang sei die Mutter nicht begeistert gewesen vom Missbrauch, sagt der 39-Jährige. „Aber dann hatte sie Angst, dass ich sie verlasse.“
Parallel zu dem Prozess muss sich in Karlsruhe ein mutmaßlicher Freier des Kindes verantworten. Der Mann aus Schleswig-Holstein soll den Partner der Mutter des Jungen im Darknet gefragt haben, ob er das Kind missbrauchen und töten dürfe. Zu einem Kontakt kommt es nicht. Ermittler nehmen den 44-Jährigen bei einem fingierten Treffen in Karlsruhe fest - im Gepäck Utensilien für die geplante Vergewaltigung: zwei Paar Handschellen, fünf Zentimeter breites Panzer-Klebeband zum Knebeln und einen Lappen sowie einen Liter Gleitgel.
Der Junge wird in dem Prozess nicht aussagen müssen, heißt es. Er lebt inzwischen bei einer Pflegefamilie. „Er bemüht sich in seinem neuen Leben, ohne Gewalt und sexuellen Missbrauch Tritt zu fassen“, erzählt Staatsanwältin Nikola Novak. Kontakt zu seiner Mutter oder deren Lebensgefährten habe er, seit die beiden im vergangenen Herbst festgenommen wurden, nicht mehr.
Wie es dazu kommen konnte, dass das Kind nach ersten Hinweisen zwar vorübergehend aus der Familie herausgenommen wurde, später aber wieder zur Mutter zurückkam, wird das Gericht nicht klären können. Die Behörden wollen ihre fatale Fehleinschätzung auf lokaler Ebene untersuchen. Auf Ebene des Landes soll einen Arbeitsgruppe den Fall aufarbeiten.