Fotos von Boris Mikhailov in Berlin
Berlin (dpa) - Im Gefängnis landete er nicht. Aber er habe die ganze Zeit das Gefühl gehabt, unter Beobachtung zu stehen. So erinnert sich der ukrainische Fotograf Boris Mikhailov, 1938 in Charkow geboren, an die Sowjetunion.
Früher war er Ingenieur, seine subversive Kunst galt als unerwünscht.
Als Fotograf trat er nicht öffentlich in Erscheinung. „Wer fotografierte, war entweder Amateur oder Journalist“, lehrt eine Berliner Ausstellung. Seinen Durchbruch hatte Mikhailov nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und auch dank seiner Zeit als DAAD-Stipendiat in Deutschland. Berühmt und berührend sind seine Bilder von Obdachlosen in Charkow, geschundene Menschen am Rande der post-sowjetischen Gesellschaft.
Die Berlinische Galerie setzt Fotos aus der „Case History“ (Krankengeschichte) in den Mittelpunkt einer Ausstellung, die sie mit ihren 300 Werken als bisher größte Schau über Mikhailov in Deutschland anpreist. Der Besucher wird am Eingang gewarnt, die Bilder könnten verstörend wirken.
Das ist bei den pornografisch angehauchten Serien möglich, auch der gequetschte Frauenkörper in einer Hängematte ist drastisch. Beim Anblick der nackten Obdachlosen im Schnee stellt sich aber eher Mitleid ein, sie sind einfühlsam inszeniert.
„Es gibt sehr viele Hinweise auf die christliche Ikonografie“, sagt Museumschef Thomas Köhler. „Das Furchtbare, das Schreckliche ist ja eine Kategorie der Kunst“, erklärt Mikhailov. Die Situation in Charkow habe sich verbessert. Aber bis heute seien die Reaktionen auf seine Kunst in seiner Heimat geteilt. Die Ausstellung trägt den Titel „Time is out of joint“, die Zeit ist aus den Fugen. Sie reicht von 1966 bis 2011 und beginnt mit Experimenten, darunter die Serie „Red“. Mikhailov kommentiert mit Kolorierungen den sowjetischen Alltag - auf Bildern von Paraden tragen Lenin und Breschnew rote Lippen. Um „Baden als Metapher“ geht es bei Aufnahmen von Menschen, die in einem verdreckten See schwimmen.
Nach dem großen Raum mit den Charkow-Bildern widmet sich Mikhailov seiner Wahlheimat Berlin und dem älteren Ku'damm-Publikum. Aber er hat auch wieder ein Herz für die Gestrandeten: Ein Obdachloser sieht nach dem Kirschenessen aus, als sei er voller Blut.