Berlins Westen macht sich chic
Berlin (dpa) - In der „Monkey Bar“ ist die schöne neue Welt des Berliner Westens so, wie Marketing-Strategen sie erträumen: Im Dachgeschoss des Design-Hotels kuscheln sich junge Leute samt Cocktails in bunte Liegesofas.
Die riesigen Glasscheiben geben einen besonderen Blick frei: Rechts die Affen im Zoo. Daneben das neu gestylte Bikini-Haus aus den 50er Jahren, das am Donnerstag als edles Einkaufszentrum für Mode und Design eröffnet. Und links die renovierte Gedächtniskirche mit ihrem neuen Hochhaus-Nachbarn - ein Luxushotel.
Die Bar-Perspektive auf den Westen, von rosa Flamingos bis zum bläulich schimmernden Kirchenbau von Egon Eiermann, ist kunterbunt. Berlin wäre nicht Berlin, ohne dass sofort Superlative umherschwirrten. An die High Line in New York fühlen sich die Bauherren auf der Terrasse ihres Bikini-Hauses erinnert, das so heißt, weil ihm einst das Mittelgeschoss fehlte. Das Gastrokonzept für das Einkaufszentrum, auf Neudeutsch Concept Mall, komme nah an den Wiener Naschmarkt heran. Doch selbst wenn man die übliche Portion Größenwahn abzieht, bleibt mehr übrig als ein architektonisch aufgehübschtes Stadtviertel rund um den Kurfürstendamm.
Ganz nah dran am Wandel ist Martin Germer, Pfarrer an der Gedächtniskirche. Wenn er den Kurfürstendamm entlangjoggt, sieht er eine ganz andere Welt als um die Jahrtausendwende. Sie heißt auch anders: City West statt Charlottenburg, Wilmersdorf und Schöneberg. Moderne Architektur wie das Kranzler-Eck hat sich wie ein gläserner Keil zwischen gutbürgerliche Altbauten geschoben. Es gibt teure Läden mit einem Angebot, das Germer „extravagant bis spleenig“ nennt.
Zurück an seiner Kirche auf dem Breitscheidplatz, eingeklemmt zwischen zwei Magistralen, empfängt ihn das, was der Berliner „volle Pulle Leben“ nennt: Touristen, Einkäufer, Teenies mit Zahnspangen, Breakdancer, Bummler und Penner. „Der Breitscheidplatz ist nicht der Gendarmenmarkt“, sagt der Pfarrer dazu - und findet das auch gut so.
Denn ohne Piazza-Atmosphäre sei das Risiko für brutalen Verdrängungswettbewerb kleiner. Germers Traum ist ein Kirchencafé auf dem Platz, in dem es keinen Verzehrzwang gibt - einfach nur mal sitzen. Die Frage ist nur, wie sich Träume finanzieren lassen: Die Gemeinde ist so klamm wie Berlin.
Trotzdem ist alles besser als früher. Germer erinnert an die Zeiten, in denen so viele Männer an die Gedächtniskirche pinkelten, dass das Mauerwerk litt. Der Drogenstrich am Bahnhof Zoo war nicht weit, der Ku-Damm galt als abgerockt. Was in den vergangenen Jahren passierte, würde der Pfarrer deshalb ungern „Renaissance“ nennen. Für ihn ist es etwas Neues - so wie sich Berlin immer wieder neu erfindet.
Dirk Spender, Leiter des Regionalmanagement City West, spricht von einer Initialzündung. „Als klar war, dass neben dem Bahnhof Zoo ein Hochhaus mit dem Hotel Waldorf Astoria entsteht, ging das hier ab wie eine Rakete“, sagt er. Seit 2010 fanden sich plötzlich Investoren, die aus dem verstaubten Kino Zoo-Palast und dem Bikini-Haus etwas Schickes machen wollten. Ein weiteres Hochhaus ist im Bau. „Das Pendel schlägt zurück“, sagt Spender. „Die City West ist für all jene interessant, die von den Hipstern im Osten die Schnauze voll haben.“ Und ergänzt schmunzelnd. „Wir mosern hier auch nicht über Touristen.“
Neu ist dieses Pendeln nicht. Berlins westliches und östliches Zentrum haben sich bei der Gunst des Publikums seit den 1920er Jahren abgewechselt oder nebeneinander bestanden. Erst der Mauerbau ließ getrennte Welten entstehen. Der Mauerfall sorgte für den riesigen Abenteuerspielplatz im Osten. Dessen Reiz verblasst nach der Renovierungs- und Gentrifizierungsphase nun für all jene, die sich nach unverbrauchten Spielwiesen sehnen.
Doch auch für den Westen heißt das Wandel. Die Zeit der Wilmersdorfer Witwen, die mit onduliertem Weißhaar ihre Pudel spazieren führten und im Café Kranzler Torte aßen, ist vorbei. Statt ins Kranzler geht es zum Sehen und Gesehenwerden nun ins „Grosz“ im Haus Cumberland. Der Vergleich mit einem Wiener Kaffeehaus wirkt unter hohen Stuckdecken und vergoldeter Säulenpracht ausnahmsweise nicht übertrieben.
Nicht weit von dort sitzen abends junge Leute im Theater „Schaubühne“ am Lehniner Platz. Wenn Nina Hoss oder Lars Eidinger spielen, gibt es Schlangen wie vor einem Szene-Club im Osten. Im Herbst will mit der Galerie „c/o Berlin“ ein kulturelles Schwergewicht im Westen eröffnen. Sie zog es aus dem Szene-Kiez Mitte ins Amerika Haus, auch ein 50er-Jahre-Bau, Retro-Chic. Kunstsammler Christian Boros mag die Gegend um den Zoo, weil sie noch nicht so „rundgelutscht“ ist wie Berlin-Mitte. „Es gibt Orte, an denen man spürt, wie Dinge zusammenprallen und Reibung entsteht“, sagt er.
Der Berliner Westen kann Reibung bieten. Es gibt wohl nur wenige Städte, in denen neben einem Beate-Uhse-Sexmuseum und einem Billigsupermarkt ein Fünf-Sterne-Plus-Hotel aufmacht. Und in denen sich die Kneipen der 68er-Generation unverändert neben brandneuer Crossover-Kitchen behaupten. So mancher Szene-Gastronom, der in Mitte sein Glück fand, macht hier nun eine Dependance auf. Go West!