Betagtes Forschungsobjekt: Wie tickt der Hundertjährige?
Heidelberg (dpa) - Keine Altersgruppe wächst so rasant wie die der Hochaltrigen. Den Demografen zufolge kann jedes zweite Kind, das heute geboren wird, damit rechnen, hundert Jahre alt zu werden.
In Heidelberg erforschen Wissenschaftler speziell die Altersgruppe, die ein Jahrhundert auf dem Buckel hat. Zur Zeit arbeiten sie an der zweiten großen „Hundertjährigen-Studie“.
Forscher vom Institut für Gerontologie der Uni Heidelberg hatten bereits in den Jahren 2000 und 2001 im Großraum Rhein-Neckar 91 Hundertjährige besucht. Sie befragten jeweils einen nahen Angehörigen und - soweit das möglich war - den Hundertjährigen selbst.
Nach Auskunft von Projektleiter Christoph Rott lebte etwa ein Drittel der Befragten allein und die Hälfte im Pflegeheim. Jeder zweite war dement und acht von zehn waren pflegebedürftig. „Trotz häufigerer Einschränkungen und Gebrechen waren die Hochaltrigen so positiv gestimmt wie 80-Jährige“, sagt der Psychologe. In einer zweiten Studie elf Jahre später unter der Projektleitung von Daniela Jopp sollte dieser Aspekt näher untersucht werden.
Erneut bemühten sich die Forscher, möglichst alle Hundertjährigen im Untersuchungsgebiet aufzuspüren und in die Studie einzubeziehen. „Das war ein riesiger Aufwand“, bekennt Katrin Boch, die sich im Rahmen ihrer Doktorarbeit seit 2011 mit dem Thema befasst. Sie hat alle Einwohnermeldeämter zwischen Darmstadt und Karlsruhe, Mosbach und Bad Dürkheim angeschrieben.
2011 waren in der Region 596 Hundertjährige gemeldet, fast dreimal so viele wie elf Jahre zuvor. 113 stellten sich für Interviews zur Verfügung. Die letzten Befragungen laufen noch. Dabei geht es zunächst um die funktionale Gesundheit: Können Sie noch telefonieren, einkaufen gehen, selbstständig vom Bett aufstehen? Beim Gehtest seien manche mit dem Rollator losgedüst, „da kam ich kaum hinterher“, sagt Boch. Im zweiten Teil stehen psychische Aspekte im Vordergrund.
Für die Gerontologen handelt es sich bei den Befragten um ganz besondere Persönlichkeiten. „Die Hundertjährigen haben zwei Weltkriege erlebt, viele Frauen ihren Mann früh verloren“, sagt Boch. Die meisten seien in ihrer Mobilität eingeschränkt, hörten schlecht und könnten schlecht sehen. „Man könnte erwarten, dass so jemand klagt“, sagt Rott. „Doch das beobachten wir nicht.“
Stattdessen erfuhren die Forscher, dass auch diese Menschen Ziele haben und dem Leben etwas abgewinnen können. So wollte eine der Befragten noch erleben, dass ihre Urenkelin auf die Welt kommt. Eine andere freute sich über scheinbar Triviales: „Morgen kommt mein Sohn und holt mich zum Essen ab.“ Die Angehörigen haderten dagegen mehr mit den Gebrechen der Hundertjährigen. Wer mit 80 Jahren noch ein Elternteil hat, empfindet das bei aller Verbundenheit oft auch als Belastung, so die Erkenntnis der Wissenschaftler.
Die meisten der Befragten gehen offen und gelassen mit dem Thema Tod um, stellt Boch fest. „Ich lege mich abends ins Bett und freue mich, wenn ich morgens aufwache. Und wenn nicht, dann ist es halt so“, gab eine Dame zu Protokoll. Bei einem Abschlusssymposium im Juli sollen die Ergebnisse der Ersten und der Zweiten Heidelberger Hundertjährigen-Studie verglichen werden.