Das Auge der Welt: Das „Life“-Magazin wird 75
New York (dpa)- Früher konnte man Fernsehen blättern. Einmal die Woche kam das Neueste aus aller Welt, großformatig und in aufregenden Bildern. Und auf Papier.
„Life“ war jede Woche ein Erlebnis. Das New Yorker Magazin berichtete in atemberaubenden Fotografien über Kriege, Katastrophen und Königskinder, über neu entdeckte Stämme, neu entwickelte Straßenkreuzer und neu errichtete Diktaturen. „Life“ war ein Ereignis für sich, für das die besten Fotografen arbeiteten und in dem Staatsmänner ihre Biografien veröffentlichten. Die Ikone des Journalismus gibt es noch, wenn auch nur im Internet. Am 23. November wird sie 75 Jahre alt.
„Für das Magazin zu arbeiten, ist kein Job, es ist ein Abenteuer“, sagt Bill Shapiro. Der heutige Chefredakteur wird fast andächtig, wenn er über „Life“ spricht: „Es ist wirklich eine Ehre, hier zu arbeiten. Die größten Köpfe des Journalismus waren für das Magazin tätig und dieses Vermächtnis setzt uns natürlich jeden Tag ein bisschen unter Druck.“ Robert Capa, Alfred Eisenstaedt, Gisèle Freund und Andreas Feininger fotografierten für „Life“, Winston Churchill, Harry Truman und General Douglas MacArthur veröffentlichten ihre Autobiografien als Fortsetzungen in dem Magazin. „Life“ war Kult.
Die Idee dazu stammte von Henry Luce, der den Amerikanern das Magazin „Time“ oder auch „Sports Illustrated“ bescherte. Er kaufte 1936 die Namensrechte von einem Karikaturenblatt und machte aus „Life“ das Fotomagazin, das zwei Generationen eine der wichtigsten Nachrichtenquellen war. „Bevor es Fernsehen gab, gab es "Life"“, sagt Chefredakteur Shapiro. „Wie sonst sollte man damals die Welt erleben, wenn nicht durch die Kameraaugen der großen Fotografen?“
Und gleich zu Anfang gab es genug zu fotografieren: Hitler, Stalin und Mussolini interessierten auch im fernen Amerika, und der Bürgerkrieg in Spanien oder die Wehrmacht in der Tschechoslowakei rückten gleich viel näher, wenn man das Geschehen auf großformatigen Fotos sah. Als die GIs 1941 in den Krieg gegen Japan und Deutschland zogen, konnten die Amerikaner mit dabei sein und nach dem Sieg war das Foto des Matrosen, der auf dem New Yorker Times Square spontan eine Krankenschwester küsst, das vielleicht berühmteste „Life“-Foto überhaupt. Die Welt stand Kopf - und „Life“ war dabei.
Dabei hat das Journal auch selbst Politik gemacht. „Die Amerikaner haben gesehen, wie der Vietnamkrieg aussieht“, sagt Shapiro. „Das hat geprägt und den Krieg immer unpopulärer gemacht.“ Es ging aber auch andersherum: „"Life" hat Kennedy geliebt: Jung, gut aussehend, volle Haare und dann noch Jackie an der Seite. Und Kennedy war auch so klug und ließ die Fotografen zu sich nach Hause. Entsprechend war er immer wieder auf dem Titel, sein Konkurrent kaum.“ Letztlich gewann John F. Kennedy 1960 mit hauchdünnem Vorsprung gegen Richard Nixon.
Doch je mehr die Leute fernsahen, desto weniger blätterten sie in „Life“. Ende der Sechziger endete das goldene Zeitalter des Fotojournalismus und im Dezember 1972 war Schluss: Die wöchentliche „Life“ war am Ende. Nur noch Sonderdrucke gab es. Doch die verkauften sich trotz stolzer zwei Dollar so gut, dass „Life“ 1978 zurückkam, wenn auch nur monatlich. Doch 2000 war auch das vorbei. 2004 gelang noch einmal ein letztes Aufbäumen, als Zeitungsbeilage. Doch nur für drei Jahre. Seitdem gibt es „Life“ ausschließlich im Internet.
„Natürlich würde ich das Magazin gern wieder am Kiosk sehen“, sagt Shapiro. „Aber das Internet bietet enorme Vorteile. Wir sind nicht mehr durch die Seitenzahl begrenzt und können gute Geschichte ganz erzählen. Außerdem haben wir jetzt Leser auf der ganzen Welt.“ Fünf Millionen Mal werde das kostenlose Angebot jeden Monat angeklickt. „Von solch einer Verbreitung konnten wir früher nur träumen.“ Vor der Zukunft des Fotojournalismus hat Shapiro deshalb keine Angst: „Die Leute wollen im Internet zwar Videos. Aber was wirklich wirkt, was sich wirklich einbrennt, dass sind stehende Bilder, das sind Fotos.“