Glosse E-Scooters, Eddys und E-Lastenrädern: Bin ich eigentlich verkehrswendig genug?
Düsseldorf · Angesichts von E-Scooters, Eddys und E-Lastenrädern ist Laufen rückwärtsgewandt. Zwar emissionsfrei, aber irgendwie doch sehr analog und altmodisch. Unsere Autorin merkt im Verkehrswendigkeit-Selbsttest, dass sie Nachholbedarf hat.
Wie bist du unterwegs? Das ist die Frage unserer Zeit. Mobilität der Zukunft. Verkehrswende. Nie gab es so mannigfaltige Möglichkeiten der Fortbewegung wie gerade im Moment – und nie so viel Gewese darum. Längst geht es dabei, von A nach B zu gelangen, nicht mehr allein um das möglichst schnelle und sichere Erreichen von B. Der Weg ist das Ziel und sein Wie der Kern: ist es grün genug, integer und zukunftsfähig genug. Auch: hip genug. Und so sitze ich auf einer Bank an der Düsseldorfer Königsallee mit Blick auf einen von Elektromotoren und Fahrradspeichen surrenden, viel zu vollen Rad- und Fußweg und frage mich: Bin ich eigentlich verkehrswendig genug?
Ich fahre ein winziges Auto für Termine außerhalb und sonst fast immer Fahrrad – Gepäckkorb vorne, Kindersitz hinten –, seltener Bahn. Ich bin auch ein halbes Dutzend mal E-Scooter gefahren, als ich zum Beispiel mal ohne Rad jenseits des Hofgartens unterwegs war und zurück zur Kö wollte, auf der ich nun sitze. Das fühlte sich zumindest hip an und auch ein bisschen spaßig, war mit etwa 2,50 Euro allerdings auch kein Pappenstiel für eine Strecke, die man ziemlich bequem hätte laufen können. 2,50 Euro! Das wäre früher ein Heiermann gewesen! Aber D-Mark-Vergleiche sind ja das Gegenteil von hip. Total rückwärtsgewandt. Laufen auch. Zwar emissionsfrei, aber irgendwie doch sehr analog und altmodisch. Keine App, kein QR-Code-Scanner. Wenn zu Fuß gehen schon die Verkehrswende wäre, bedeutete das ja, dass es es seit dem Höhlenmensch bloß noch bergab ging.
Jedenfalls merke ich im Verkehrswendigkeit-Selbsttest angesichts der brummenden und summenden Kö, dass ich Nachholbedarf habe. Auf der anderen Straßenseite schlängelt sich gerade eine Anfang-Siebzigerin in schickem Kostümchen auf einem Tretroller an den Cafétischen vorbei. Kein Elektromotor, aber hey: Durch den E-Scooter-Boom erleben auch die analogen Roller ganz offensichtlich gerade ein Revival. Das ist dann nicht altmodisch, sondern retro. Ganz was anderes. Oder noch besser: oldschool. Das ist quasi neumodisch für „altmodisch“. Englisch – und schon deshalb superhip – für „alte Schule“. Ich hatte noch nie einen Tretroller. Zumindest nicht nach meinem fünften Lebensjahr.
Wo ich schon so sitze und nachdenke: Auch mein soziales Umfeld hält mir meinen Nachholbedarf mal mehr, mal weniger vor Augen. Ich habe eine Freundin, die zu unseren Verabredungen mal mit dem E-Bike, mal mit dem Kickboard – das ist ein nicht-motorisierter Tretroller mit einer Gummikugel anstelle eines Lenkers; Himmel, es wird immer hipper – kommt. Und einen ehemaligen Kollegen, der zu unseren gemeinsamen Mittagspausen mit der Bahn anreist und sich danach gern mal einen Eddy schnappt: einen elektrisch betriebenen Motorroller, den die Düsseldorfer Stadtwerke vermieten. Selbst als wir neulich mit dem total oldschooligen BMW-Cabrio einer Freundin übers Wochenende wegfuhren – und ich mich fast schon verkehrswendig überlegen fühlte –, antwortete sie auf die Frage, was sie für den Sprit von uns kriege, wir seien ja nun auf Erdgas gefahren und somit hunderte Kilometer für gerade mal 30 Euro. Wieder sah ich mit meiner Benziner-Fahrrad-zu-Fuß-Kombi alt aus.
Gerade holpert auf dem Rad-Fußweg der Kö ein Lastenfahrrad mit Holzverschlag über dem Vorderreifen vorbei. Ich muss ehrlich gestehen: Ich hab’ da Vorurteile. Diese Vehikel sind für mich die Geißel der City. Gemacht für Männer mit gestriegelten Vollbärten und minimal hochgekrempelter Skinnyjeans oder Frauen mit Botschaft-bedrucktem Jutebeutel und Yogamatte. Teuer bis zum Gehtnichtmehr. Und oldschool bis zum Abwinken. Ich meine, Bäcker sind in den 20er-Jahren mit diesen Teilen durch die Gegend gegurkt, um ihre Waren auszuliefern. Heute dienen sie allein der Auslieferung von Innenstadt-Kindern an Elterninitiative-Kitas.
Und just muss ich an den Herrn denken, den ich vor einigen Wochen erst über die Arbeit kennen lernte und der mir über einem Kaffee erzählte, nunmehr die Abschaffung seines geliebten alten, leider langen und breiten Cabrios zu erwägen, weil er sich ein solches Lastenrad angeschafft habe. Staatlich mit Hunderten Euros gefördert und in der dicht besiedelten Metropole garantiert leichter zu parken als sein luftverpestendes Schiff. Meinen Vorurteilen war gleich jegliche Argumentationsbasis entzogen. Aber das haben Vorurteile ja schließlich so an sich.
Ich habe gelesen, E-Lastenräder hatten im vergangenen Jahr einen Marktzuwachs von 80 Prozent und seien mindestens mal das Zweitauto der Zukunft. Bei den E-Scooters hingegen streiten sich die Gelehrten weiter – die einen prophezeien ihnen einen unumstößlichen Platz im Straßenbild der mittelfristigen Zukunft, die anderen sehen ihre goldene Zeit vielleicht schon zum Jahresende mit erstem Bilanzziehen verflossen. Man wird sehen. Viele Wege führen von A nach B und es gilt wohl, sie zu erproben.
Ich einstweilen verlasse die Kö analog zu Fuß, im Slalom um E-Scooter, Mieträder, Lastenräder, Eddys und dicke Benz-Cabrios mit Ledersitzen – vielleicht mit nachgerüstetem Erdgastank, man kann heutzutage keinem mehr trauen. Zum Glück für die Verkehrswende kommt es nicht allein auf meine persönliche Verkehrswendigkeit an. Obwohl: Ich habe jüngst in der Rumpelkammer meine alten Rollerblades gefunden. Verstaubt und altmodisch, aber intakt. Emissionsfrei eh. Warum die nach Lastenrädern und Tretrollern noch kein hippes Comeback gestartet haben, ist mir ein Rätsel. Aber angesichts der großen Fragen unserer Zeit kann es eigentlich nur eine Frage der Zeit sein. Ich bin bereit. Bei meinen Kniescheiben bin ich unsicher.