Gesundheit Interview: So verlängern Sie Ihr Leben

Der Mediziner Gerd Reuther erklärt in einem neuen Buch, wie wir es schaffen können, möglichst lange zu leben. Ein Gespräch über jahrhundertalte Rezepte, falsche Medikamente und menschliche Sehnsüchte.

Sport, frische Luft, Freiheit – aber da ist ja noch so viel mehr, was für ein langes Leben wichtig wäre. Fotos: dpa

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Herr Reuther, Ihr Buch heißt „Die Kunst, möglichst lange zu leben“. Ist für Sie ein langes Leben überhaupt erstrebenswert?

Gerd Reuther: Ja und Nein. Möglichst lange leben auch um den Preis schwerwiegender gesundheitlicher Einschränkungen sicher nicht. Und auch nicht, wenn Krieg und Not herrschen. Ansonsten möchte ich schon nicht früher sterben als nötig. Man lebt ja nur einmal.

Wovon hängt die Lebensdauer eines Menschen wirklich ab?

Reuther: In erster Linie von uns selbst. Unsere genetische Ausstattung steckt nur den Rahmen für unsere Lebensspanne ab. Unsere Gene werden durch unsere Erfahrungen und Verhaltensweisen ständig modifiziert. Wenn in bestimmten Familien alle Mitglieder alt werden, dann liegt es vor allem auch an den gemeinsamen Lebensgewohnheiten. Unser Tod hat meist sehr viel mit unserem Leben zu tun.

Ist das Erbgut trotzdem wichtig? Oder sind wir allein verantwortlich?

Gerd Reuther hat das Rezept für ein langes Leben. Foto: privat

Foto: Münchner Verlagsgruppe/Privat

Reuther: Sicherlich, mit einer genetisch vererbten Erkrankung lebt es sich meist weniger lang. Dennoch ist die stets befeuerte Hoffnung, durch gezielte Eingriffe am Erbgut das Leben zu verlängern, ein Trugbild. Mit jeder Genmanipulation riskieren wir Schäden, die erst nach Jahren erkennbar sein können. Es ist besser, uns auf das zu konzentrieren, was wir gefahrlos beeinflussen können: das ist unser Lebensstil.

Sie schreiben, „Schwitzen, Brechmittel und Klistiere“ gehörten im Mittelalter zum Instrumentarium der Betreiber von Jungbrunnen. Heute sind wir beim Detoxing oder Ayurveda-Kuren: Alles probate Mittel, um alt zu werden?

Reuther: Es gibt keine Diätempfehlungen, Arzneimittel oder Kuranwendungen, die nachweislich das Leben verlängern.

Gibt es Regionen, die  förderlich sind? Und wie wirkt Deutschland?

Reuther: Hotspots für eine besonders hohe Chance, alt zu werden, sind meist Fake News. Regional gehäuft hohe Lebensalter wie in Okinawa beruhen auf Ernährung und Lebensweise. Deutschland gehört nicht zu den Regionen, in denen man besonders alt wird, obwohl dies das Klima zuließe. Aber bei uns ist der Konsum industriell gefertigter Nahrung und von Suchtmitteln sehr hoch, es findet zu viel Medizin statt – und alte Menschen leben zu selten in den eigenen vier Wänden.

Die Kunst, möglichst lange zu leben. Foto: Riva

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Christoph Wilhelm Hufeland, ein Arzt, den Sie oft zitieren als den Vertreter des Vitalismus, hat Anfang des 19. Jahrhunderts festgestellt: „Ein kaltes Klima und geringe Klimaschwankungen würden ein längeres Leben begünstigen.“ Ist der Klimawandel ein Lebenskiller?

Reuther: Obwohl das meiste von Hufelands Feststellungen auch nach 222 Jahren noch zutrifft, hat er sich bezüglich des Einflusses von Klima und Meereshöhe getäuscht. Der für das 21. Jahrhundert prognostizierte Klimawandel wird unsere Lebenserwartung im Gegensatz zu einer zunehmenden Umweltvergiftung nicht beeinträchtigen.

Müßiggänger werden nicht alt, schrieb eben jener Hufeland. Andere sagen: Wer viel schläft, lebt länger. Wo liegt die Wahrheit?

Reuther: Körperliche und geistige Aktivität sind Grundbausteine für ein langes Leben. Wer sich wenig bewegt, dessen Muskeln fehlen, um einen Diabetes oder einen Bluthochdruck zu verhindern. Wer keine Ziele und keine Beschäftigung mehr hat, der stirbt nachweislich früher. Was den Schlaf betrifft, so soll man nicht besonders viel schlafen, sondern nur ausreichend. 7 bis 8 Stunden Schlaf sind heute wie zu Hufelands Zeiten das natürliche Maß.

Können wir Todesarten durch unsere Lebensweise – wie sie es formulieren – abwählen?

Reuther: Es gibt Bücher auf dem Markt, die vorgaukeln, dass man Todesarten wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder Krebs durch seine Lebensweise zuverlässig verhindern könnte. Allerdings haben die genannten Erkrankungen ganz unterschiedliche Ursachen, vor denen wir bestenfalls einige durch unsere Lebensweise ausschließen können. Wer nicht raucht, hat ein sehr geringes Risiko für einen Lungenkrebs. Andere Umweltgifte können wir aber nicht so leicht vermeiden.

Und: woran sterben wir wirklich?

Reuther: Auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen: alle Daten sprechen dafür, dass wir hierzulande am häufigsten durch medizinische Behandlungen sterben. Dann kommen die Folgen von Alkoholmissbrauch und Tabakkonsum sowie Umweltgifte und der Lebensstil mit zu wenig Bewegung, zu langen Aufenthalten in geschlossenen Räumen und der Konsum von zu vielen industriellen Lebensmitteln.

Dann sind Medikamente eher ein Fluch als Segen.

Reuther: Leider ja. Die Ausgaben für Medikamente haben sich seit der Wiedervereinigung mehr als verdoppelt, aber die Zahl der Sterbefälle ist unverändert hoch geblieben. Würden die häufig als Massenbehandlungen eingesetzten Senkungen von Blutdruck, Cholesterin und Blutgerinnung tatsächlich das Leben verlängern, hätten immer weniger Menschen sterben müssen.

Viele sterben an Altersschwäche. Sagt man. Immer aber, sagen Sie, steckt eine Krankheit dahinter. Wollen wir gar nicht wissen, woran wir sterben?

Reuther: Wir sterben immer an Krankheiten. Man muss nur nachsehen. Höchstens ein Sterbefall von 100 wird obduziert. Da trotz der vielen Medizin zu Lebzeiten die Todesdiagnosen in mindestens einem Drittel nicht zutreffen, wissen wir allzu häufig nicht, woran jemand wirklich gestorben ist. Wer aber die tatsächlichen Todesursachen nicht kennt, kann diese auch nicht vermeiden.

Es kommt heute mehr denn je auf Vermeidung an, schreiben Sie. Was müssen wir vermeiden, um lange zu leben?

Reuther: Die wichtigsten Strategien, um nicht früher zu sterben als nötig, sind: nur so viel essen, dass man nicht zunimmt. Möglichst wenige Fertignahrungsmittel konsumieren, möglichst wenig Zeit in Verkehrsmitteln zubringen, sich viel in frischer Luft bewegen, bei Krankheiten erst einmal der Selbstheilung vertrauen und keine voreiligen Behandlungen eingehen.

Bringt uns Job-Stress um?

Reuther: Stressreaktionen können unser Leben verkürzen. Man sollte aber dabei Leistungsanforderungen nicht mit „Stress“ gleichsetzen. Es kommt darauf an, wie wir damit umgehen. Ein hohes Arbeitsaufkommen verkürzt unser Leben nicht, fehlende Wertschätzung schon eher.

Was essen? Wie essen?

Reuther: Es ist nicht besonders wichtig, was man isst, solange es unbelastete Rohprodukte oder sorgfältig zubereitete Gerichte daraus sind. Wir dürfen nur nicht mehr essen als wir verbrauchen – das bedeutet leider, dass wir mit zunehmendem Alter jedes Jahr die Nahrungszufuhr herunter regeln müssen, auch wenn es uns schmeckt. Wir sollten nur essen, wenn wir Hunger haben, aber nicht, weil wir Hunger haben. Hunger ist keine Empfindung, die sofort beseitigt werden muss. Wer sich für sein Essen Zeit nimmt, hat nicht nur mehr davon, sondern isst auch weniger.

Macht der Verzicht nicht am Ende aus uns unglückliche Menschen, die das lange Leben gar nicht mehr schätzen werden?

Reuther: Der Verzicht auf Konsum beinhaltet grundsätzlich immer neue Optionen: Wer etwas nicht isst, kann später noch etwas anderes essen. Und wer sich etwas nicht kauft, hat Geld für eine andere Anschaffung.

Braucht es wirklich ein anstrengendes Management für das eigene Leben? Oder wie schaffen wir es, auch ohne Anstrengung alt zu werden?

Reuther: Mein Buch betont, dass das Leben keinesfalls verlängert wird, wenn man sich durch allzu viele Regeln gängeln lässt. Diätpläne und Vorratsboxen für Medikamente gehören nicht zu einem gelungenen Leben. Wer sich Checklisten anfertigt, hat das Spiel schon verloren.

Können nur reiche Menschen lange leben?

Reuther: Reiche haben immer länger gelebt als arme. Man leistet sich dann ein Leben in Wohngegenden mit geringeren Umweltbelastungen, hochwertigere Lebensmittel und kann sich mehr Zeit für das Training seines Körpers nehmen. Aber dafür braucht man nicht unbedingt viel Geld wie Menschen mit hohem Lebensalter belegen. Die nötige Seelenruhe kann man sich ohnehin nicht kaufen.