Finale des Eurovision Song Contest ESC: Liebesgrüße aus Moskau
Friede, Freude, Eierkuchen sind beim ESC eigentlich gesetzt — gäbe es nicht Krieg in der Ukraine und das griechisch-deutsche Euro-Armdrücken.
Wien. Für die einen ist das Finale des Eurovision Song Contest (ESC) eine harmlose, quietschbunte Musikveranstaltung hart an der Grenze zur Freakshow, bei der musikalisches Talent und Können meist viel weniger wichtig sind als Wille und Mut zum schrägen Auftritt. Für die anderen ist das Spektakel mit weltweit 100 Millionen Fernsehzuschauern eine wunderbare Möglichkeit, dem kleinen, großen oder ungeliebten Nachbarland richtig einen reinzuwürgen. Manchmal klappt das sogar quer über den Kontinent.
Denn ob Ann Sophie (24), die am Samstagabend für Deutschland ins Rennen geht, mit vielen Punkten aus Griechenland rechnen darf, ist mit Blick auf das Armdrücken zwischen den Herren Schäuble und Varoufakis in Sachen Euro-Rettung ungewiss. Zumindest die hellenischen TV-Zuschauer, die wie andere ESC-Länder auch per Anruf oder SMS die Hälfte der nationalen Wertung bestimmen, könnten die Sängerin anstelle des Finanzministers mit Liebesentzug bestrafen. Buchmacher rechnen mit null Punkten für Deutschland aus Athen.
Ähnliche Konflikte tun sich mit Blick auf das Verhältnis Russlands zu seinen Nachbarn auf. Der Beitrag von Polina Gagarina (28) „A Million Voices“ gehört zwar zweifellos in die Abteilung Friede, Freude, Eierkuchen, aber ganz so lieb wie Polina führen sich andere derzeit nicht auf. Zumindest darf man vermuten, dass die russischen Soldaten, die sich im Osten der Ukraine aufhalten sollen, nicht nur wegen landschaflicher Reize dort sind.
Dass Gagarina beim Finale nun mit viel Zuckerguss ausgerechnet über Völkerfreundschaft und Frieden singt, empfinden viele Kritiker als zynisch. Zumal die Ukraine — traditionell sehr stark beim ESC — gar nicht erst antritt. Gleichwohl kam Gagarins Liedchen („Wir beten für Frieden und Heilung“) im ersten Halbfinale ziemlich gut an.
In manchen Wettbüros liegt Russland auf Platz zwei, hinter dem Favoriten Måns Zelmerlöw (29) aus Schweden. Auch Italien (Il Volo), und Estland (Elina Born und Stig Rästa) sind vorn dabei. Wie auch ESC-Zaungast Australien - das Land darf anlässlich des 60. Geburtstags des Pop-Spektakels mitsingen. Sollte Guy Sebastian (33) gewinnen, wird die Endrunde 2016 dennoch in Europa über die Bühne gehen. Ein Finale in Deutschland ist hingegen unwahrscheinlich: Ann Sophie liegt mit einer Quote von 1:151 bei „Mybet“ weit hinten.
Dann schon eher ein Song Contest in Moskau — falls die Ostblock-Connection weiterhin gut funktioniert. Über solche tatsächlichen oder gefühlten Blockbewertungen ärgern sich viele Fans seit Jahren. Die Länder des ehemaligen Jugoslawien stehen stets im Generalverdacht der Mauschelei (Montenegro, Slowenien und Serbien), ebenso die Staaten, die einst zur Sowjetunion gehörten (am Samstag im Finale: Armenien, Aserbaidschan, Estland, Lettland und Litauen).
Neben Pop aus dem Land der Kängurus gibt es dieses Jahr noch eine weitere ESC-Premiere: Monika Kuszynska (35) aus Polen sitzt nach einem Umfall im Rollstuhl. Sie wirbt mit ihrem Beitrag „In The Name Of Love“ für Toleranz. Für viele Punkte oder gar den Sieg dürfte es wohl nicht reichen. Das gilt auch Maria Elena Kyriakou (31) aus Griechenland, der trotz ihres beeindruckenden Einsatzes an der Windmaschine nur wenig Chancen eingeräumt werden. Wichtiger ist ohnehin eine Frage: Wie viele Punkte wird sie wohl aus Deutschland bekommen?