Frau Höpker bittet zum Gesang
Bei den Auftritten der Musikerin herrscht gute Laune. Das Publikum singt aus voller Kehle mit. Ein Erklärungsversuch.
Düsseldorf. Die Verwandlung setzt ein, als die ersten Töne auf dem E-Piano erklingen. Durch die eben noch lässig plaudernden Menschen (meist weiblichen Geschlechts) im Saal geht ein Ruck, und sie beginnen aus voller Kehle zu singen, als hätten sie nie etwas anderes getan. „Ihr macht das richtig gut“, lobt die Frau am Klavier und schwärmt: „Musik ist ein großartiges Mittel, Menschen zueinander zubringen.“ „Frau Höpker bittet zum Gesang“ heißt ihre Veranstaltung, die Kult ist - nicht nur zur Weihnachtszeit.
Die kommt an diesem Nachmittag in Düsseldorfer natürlich auch zu ihrem Recht, indem die ausgebildete Musikerin mit der starken Stimme„Feliz Navidad“ oder „Stille Nacht“ singen lässt. Auf der großen Leinwand neben ihr lesen die sangesfreudigen Gäste den (mehr oder weniger bekannten) Liedtext und folgen mit zunehmendem Schwung den Vorgaben und Anfeuerungen ihrer mitsingenden Gastgeberin. Weiterer Vorbereitungen bedarf es nicht.
Derart spontanes Singen war nicht immer beliebt.Nach Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg, die das Singen der Massen instrumentalisiert hatten, waren die Deutschen sangesunlustig geworden. Die Technik tat ein Übriges: Musikalische Aufnahmen wurden immer perfekter und verfügbarer. Der Trend zum Individualismus förderte vor allem die Solisten — wie Castingshows oder Sing-Computerprogramme beweisen. Chöre waren dagegen mehr für Begabte interessant, die regelmäßig üben wollten. Wer weniger Talent hatte und sich zeitlich nicht binden wollte, verstummte.
Die WM 2006 wirkte da wie ein Befreiungsschlag: „Die Deutschen sangen plötzlich ihre Nationalhymne“ erklärt Katrin Höpker: „Die Menschen empfinden das Singen als Ausdruck der Lebensfreude, des Beisammenseins“, das in einer eng getakteten Arbeitswelt frei und unverbindlich daherkommen soll. 2008 erprobte die Musikerin ihr Gesangsformat erstmals im Kölner Freundeskreis. Im Unterschied zu „Rudelsingen“ oder Karaoke ohne Playback und ohne regionale Ausrichtung wie „Loss mer singe“. Aber mit zunehmendem Erfolg: Heute füllt sie große Säle überall in Nordrhein-Westfalen. Denn Singen macht (doppelt) glücklich: „Vertikal, indem ich meinen Körper erlebe, meine Stimme. Horizontal, indem ich meinen Nachbarn unterhake, von der Gruppe getragen werde.“
Was gesungen wird, entscheiden ihre Gäste - weitestgehend, denn manche Wünsche muss Katrin Höpker ablehnen: Reggae funktioniert nicht, auch viele aktuelle Songs. Außerdem müssen die Lieder auf dem Klavier und für Ungeübte darstellbar sein. Das Repertoire der Musikerin ist dennoch riesig, umfasst mehr als 1000 Titel — vom Popsong, über Schlager und Volkslied bis hin zum Evergreen.
Und: Flexibilität ist wichtig. „Ich muss spontan sehen, wie die Gruppe reagiert“, deren gemeinsame (Lied-)Schnittmenge jedes Mal neu gefunden werden muss.: „Ich will alle ins Boot holen, den 20-Jährigen, seine Eltern und Großeltern.“ Das bedarf Mut und einer guten Mischung aus „Führen und Dienen“.„Wenn ich am Ende der Veranstaltung mit allen singe, ‚Der Mond ist aufgegangen’, dann hat es funktioniert..“