„Gute Bude“ - Kiosk trifft Kultur
Stuttgart (dpa) - Zeitschriften, Tabak, Bier und ein Schlagzeug: Stammkunden dürften am Mittwochabend im Stuttgarter Kiosk Schlagzeile etwas irritiert gewesen sein. Das Stadt-Kultur-Projekt „Gute Bude“ ist bei Betreiber Roland Weninger zu Gast und hat das Künstlerduo „holunda & der schurke“ mitgebracht.
Während Thorge Pries musiziert, erzählt Caroline Intrup Geschichten aus dem Kiosk-Alltag. Der Laden wird zur Bühne. Die Kunden zum Publikum. So wollen die Veranstalter zeigen, was in den Kiosken steckt - aber selten wahrgenommen wird.
„Wir machen es uns oft zu einfach und werden gar nicht aufmerksam darauf, was man noch alles machen kann“, sagt Tina Saum von der „Flanerie“. Mit Daniela Metz betreibt sie das „Labor für Gedanken und Gänge“. Saum erklärt: „Wir erforschen mittels des Flanierens die Urbanität.“ Am Kiosk finde man Urbanität. „Menschen aus verschiedenen Kulturen und sozialen Schichten tauschen sich aus, sprechen über Fußballergebnisse oder politische Themen. Aber es wird auch gelästert.“ Ihr Projekt „Guten Bude“ startete im März.
Mal wurde ein Stuttgarter Kiosk für einen Kurzfilmabend genutzt, mal ein anderer für eine Fotoausstellung oder eine Live-Kochshow. „Wir wollen die Vielfalt, die ein Kiosk sowieso hat, mehr nutzen“, sagt Saum. Der Kiosk sei ein kultureller Ort, der von den Menschen oft zu wenig gepflegt werde.
In der Beschreibung zu „Gute Bude“ heißt es: „Kioske sind die urbanen "Eckensteher": Voll gepackt mit einer kuriosen Sammlung an Kaffee-Dosen, Zigaretten, Lotto-Scheinen, XXL-Kuscheltieren, Fußballstickern, Frauenunterwäsche und Schokoriegeln. Mit den alltäglichen Bedarfsartikeln gehen auch die Sorgen, Wünsche und Träume der Kunden und Verkäufer über die Theke.“ Spenden helfen, das Projekt zu finanzieren. Von Mal zu Mal entwickelte sich ein kleines Stammpublikum. „Es war nicht nur gute Bude, sondern auch volle Bude“, freut sich Saum.
25 800 Kioske gab es in Deutschland nach aktuellsten Zahlen der Nielsen Company im Jahr 2009. Andere Schätzungen liegen weit darüber oder darunter. Denn der Begriff Kiosk ist nicht genau definiert. Kulturwissenschaftlerin Darijana Hahn bezeichnet die „Guten Buden“ aus Stuttgart nicht als Kioske. Das sind aus ihrer Sicht nämlich kleinere Läden, die der Kunde meist nicht betreten kann.
So urteilt die Wahl-Hamburgerin, die in Balingen aufwuchs: „Stuttgart ist kein Kioskpflaster.“ Zu den Kiosk-Hochburgen zählten Köln, Hannover, das Ruhrgebiet, Hamburg-Harburg, Flensburg und Berlin mit seinen Spätis. „Das hat mit dem Arbeiteranteil zu tun und mit der Akzeptanz der Behörden.“
Der Kiosk habe eine soziale Bedeutung, weil er Vertrautheit ausstrahle, sagt Hahn. Vordergründig gehe man wegen des Einkaufs zum Kiosk, spreche über Wetter oder Fußball - und gelange zu persönlichen Problemen. „Das ist anders als ein Gespräch mit einem Therapeuten.“ Gerade weil das schichtübergreifend funktioniere, hielten sich Kioske - und würden gerade in Städten tendenziell mehr.
Eine Faustformel gebe es aber nicht: „Ich würde sagen, jede Straße braucht zwei Kioske. Aber das ist für Kioskbesitzer wohl die falsche Strategie. Wirtschaftlich ist vielleicht ein Kiosk pro drei Straßen.“ Das Projekt „Gute Bude“ findet Hahn gut, war selbst schon als Referentin zu Gast. Allgemein sagt sie aber: „Der Kiosk lebt davon, dass er so ist, wie er ist. Der braucht keine Garnierung.“
Jörg Wagner, Vorsitzender des 1. Kioskclubs Museum Ostwall 06 in Dortmund, sieht die Aktion eher aus kultureller Sicht und bezeichnet die Kombination Kiosk und Kultur als „spannende Auseinandersetzung“. Im Kiosk könnten Künstler ein neues Publikum erschließen. In fast allen Städten mit Kiosken gebe es auch solche, die Platz für Kultur schaffen. „Aber das ist im Vergleich zu allen Kiosken natürlich marginal.“ Die „Gute Bude“ hat er schon nach Dortmund eingeladen.
Das „Flanerie“-Team macht nach vier Veranstaltungen in Stuttgart aber erstmal Pause. Eine zweite Saison sei noch nicht in Planung. „Es wäre aber schön, wenn das überschwappt“, sagt Saum. „Wir würden uns freuen, wenn noch andere das Konzept übernehmen.“ Damit meint sie andere Kioske - aber auch andere Städte.