Interview mit Twiggy: "Ich sah speziell aus"
Düsseldorf. Twiggy heißt soviel wie "dünner Zweig" und ist eine komische Anrede für diese gestandene Frau, die so alt ist wie die eigene Mutter und die jetzt sehr unprätentiös in blauer Jeans, schwarzem Blazer und heller Bluse vor einer Tasse Tee auf dem Sofa einer Berliner Hotelsuite sitzt.
Lesley Lawson, geborene Hornby, jedoch findet das ganz normal. "Ich werde immer Twiggy sein, und ich bin gerne Twiggy", sagt sie.
Lawson, die mit ihrem Mann in London lebt, ist heute 62 und immer noch schlank, wenn auch nicht mehr mager. Fältchen zieren ihr Gesicht. 1966 wurde Twiggy ziemlich schlagartig zu einem Phänomen, einer Mode-Ikone, einem Weltstar. Mit ihrer dürren Gestalt und dem Kurzhaarschnitt galt das mit 16 zufällig entdeckte Mädchen schnell als das "Gesicht der Sechziger", Twiggy war praktisch das erste Supermodel. 1970, mit 20, gab sie das Modeln auf und arbeitete fortan erfolgreich als Sängerin sowie als Schauspielerin in Filmen, am Broadway und an kleinen Theatern.
In jüngster Zeit war die Engländerin als Jurorin der Castingshow "America's Next Top Model" und als Werbegesicht für die britische Kaufhauskette "Marks & Spencer" aktiv. Auf ihrem neuen Album "Romantically Yours" singt Twiggy klassische Popballaden wie "Waterloo Sunset" oder "Right here waiting."
Twiggy, war Model für Sie als Teenager eigentlich ein Traumjob?
Twiggy (lacht laut und kräftig): Den Job gab es doch damals noch gar nicht. Es war total neu. Von einer Veruschka oder eine Jean Shrimpton hatte man vielleicht schon einmal gehört, aber ich war das erste Fotomodell, das einer so großen Öffentlichkeit bekannt wurde.
Woran lag das?
Twiggy: Die Sixties waren eine besondere Zeit, speziell was das Kulturelle in Großbritannien anging. Es war das erste Mal, dass junge Leute wirklich eine Stimme bekamen. Wir waren die Baby Boomer, und wir waren viele. In meiner Kindheit in den Fünfzigern ging es noch recht steif zu in der Gesellschaft, das Klassensystem spielte noch eine größere Rolle. Ich denke, die Beatles haben viel bewirkt, als es so 1961, 1962 mit ihnen losging. Die Swinging Sixties waren nannten wir die Zeit, es war eine Epoche der Jugend, wunderbar.
Und Sie mittendrin.
Twiggy: Dabei hatte ich das überhaupt nicht geplant. Ich wurde entdeckt, gefragt, ich hatte Lust, meine Eltern hatten nichts dagegen, und so ging es los. Konnte ja wirklich keiner ahnen, dass die Fotos von mir so einen Nerv treffen würden. Die Leute glauben häufig, du kannst deine Karriere organisieren und immerzu strategisch vorgehen. Bei mir war es anders: Alles, was mir passiert ist, passierte ungeplant. Mir wurden Möglichkeiten gegeben, und ich habe entschieden, was ich mache und was ich lieber sein lasse.
Fanden Sie sich selbst eigentlich auch zu dünn?
Twiggy: Ich sah schon ziemlich speziell aus (lacht). Nicht umsonst haben mich die Kinder in der Schule Twiggy genannt. Ich musste nichts für meine Figur tun, mich nicht anstrengen. Ich habe immer alles gegessen, was ich essen wollte. Ich habe mich auch als Model nicht quälen müssen. Mir hat die Arbeit Spaß gemacht, ich habe das wirklich geliebt. Ich fand das ein paar Jahre interessant, dann wollte ich lieber etwas Neues ausprobieren.
Sie singen auf ihrem Album auch den alten Folkpopklassiker "At 17" von Janis Ian. Waren Sie mit 17 eigentlich so cool, wie sie damals ausgesehen haben?
Twiggy: Hahaha. Nein, oh nein. Ich war noch ein Kind. Ich war noch sehr naiv und noch sehr jung für mein Alter. Ich war wirklich in keinster Weise frühreif oder kokett, ich war auch nicht sonderlich ehrgeizig. Wahrscheinlich war das alles ein guter Schutz für mich. Ich hatte auch immer ein sehr inniges Verhältnis zu meinen Eltern und meinen beiden älteren Schwestern. Ich war keine Rebellin, kein wilder Teenager. Wahrscheinlich bin ich genau deswegen noch hier. Ich bin immer ich selbst gewesen und darf sagen, dass mir die 17-jährige Twiggy so gut wie nicht peinlich ist (lacht).
Keine Drogen, kein Alkohol?
Twiggy: Überhaupt nicht. Heute trinke ich gerne mal ein Glas Wein, doch damals konnte ich den Geschmack von Alkohol nicht ausstehen. Ich war brav. Ich bin immer schön innerhalb der Strukturen geblieben. Eine Rebellin war ich nie. Ich hatte nie Lust, die Barrieren zu durchbrechen oder etwas vollkommen Verrücktes zu tun. Meine Tochter Carly ist auch so wie ich, darüber bin ich ganz froh.
Ihre Tochter ist 33. Sind Sie froh, dass sie nicht auch Model geworden ist? Schließlich hat die Branche ja einen wirklich miserablen Ruf, man liest immer wieder von Ausbeutung, Missbrauch, Ernährungsstörungen...
Twiggy: Oh Gott, ja, das Geschäft ist sicher härter geworden, weniger menschlich. Modeln ist heute eine Industrie. Ich hätte Carly das trotzdem nicht verboten. Aber nein, sie ist kein Model. Carly ist eine gelernte Zeichentrick- und Comiczeichnerin. Sie arbeitet jetzt seit Jahren für Stella McCartney. Ich selbst bin froh, dass ich damals berühmt wurde und nicht heute. Diese Horden von Paparrazzi, das ist ein echter Alptraum. Mein Mann und ich, wir sind mit vielen Schauspielern und Models befreundet, neulich waren wir in London zusammen essen mit Brooke Shields. ALs wir aus dem Restaurant kommen, stehen da bestimmt 30 von diesen Fotografen, das war verrückt. Mir tun unsere Freunde leid, das ruiniert deren Leben. Zu meiner Zeit gab es fünf Modefotografen, und das war es. Ich wurde berühmt durch die Zeitungen und Magazine, wirklich durch meine Arbeit. Die Sixties waren so viel vornehmer und würdevoller als die heutige Zeit.
Sie haben fünf Jahre in der Jury zu "America's Next Top Model" gesessen. Haben Sie Verständnis für junge Menschen, die unbedingt berühmt werden möchten?
Twiggy: Ich war in der Sendung eher eine wohlwollende, freundliche Person. Ich halte nichts davon, Jugendliche niederzumachen. Nicht so gern mochte ich es, wenn Mädchen übertrieben ehrgeizig waren und den anderen nichts gönnten. Ich will das nicht verallgemeinern, aber das Konkurrenzdenken vieler Jugendlicher macht mir Sorge.
Sie sagten, ihr Ehrgeiz sei nicht sehr groß gewesen. Trotzdem sind sie seit 46 Jahren in der Showbranche aktiv - mal als Schauspielerin, mal als Sängerin, mal als TV-Show-Gastgeberin. Woher kommt diese Vielfalt?
Twiggy: Ich bin neugierig. Viele Menschen, gerade wenn sie älter werden, richten so eine Sicherheitszone um sich herum ein. Mir wäre das zu öde. Ich finde es gut, Sachen auszuprobieren und auch mal Bammel zu haben. Ich habe immer gesungen, mein erstes Album kam 1970. Viele meiner Filme basieren auf Musicals, etwa "The Boy Friend", mit dem ich sogar in Hollywood populär wurde. Vieles in meiner Arbeit hatte mit alten Songs zu tun. Deshalb musste ich nicht groß überlegen, als die Plattenfirma mir das Angebot machte, ein Album mit Popstandards aufzunehmen. Das sind Songs für eine Zielgruppe in meinem Alter, ganz klar. Besonders stolz bin ich darauf, dass Richard Marx und Bryan Adams, die Originalinterpreten von "Right here waiting" und "Heaven" selbst mitsingen. Ich habe die einfach angerufen und sie wollten dabei sein. Toll, oder?
Für so eine Ikone wirken Sie außergewöhnlich bescheiden.
Twiggy: Ikone? Keine Ahnung. So denke ich nicht über mich. Ich bekomme viele sehr freundliche Briefe. Und zusammen mit David Bowie und ein paar anderen habe ich mit meinem damaligen Look Grenzen aufgebrochen zwischen den Geschlechtern oder den sexuellen Spielarten. Mit meinem androgynen Äußeren habe ich wohl dazu beigetragen, dass sich lesbische und schwule Menschen verstandener, besser fühlten, zumindest höre und lese ich das oft. Darauf bin ich stolz, aber ansonsten habe ich doch nur meine Arbeit gemacht.
Seit fünf Jahren arbeiten Sie auch wieder als Model, für die Kaufhauskette "Marks & Spencer". Wieso das?
Twiggy: Wie immer: Ich traf die richtigen Leute, und es hat sich so ergeben. Sie fragen mich wieder und wieder, die Kampagne läuft im sechsten Jahr und ist wirklich erfolgreich. Von "M&S" war es clever, ein älteres Model zu wählen. Deren Hauptzielgruppe sind Frauen ab 45, die fühlen sich durch junge Models nicht repräsentiert und sind dann sauer, weil sie denken, sie werden vernachlässigt und vergessen. Wenn diese Anzeigen und Werbespots eine Botschaft haben, dann: Wir lieben auch mit 50, 60, 70 noch Mode. Und wir sind noch nicht tot.
Frauen mit 60 sind ja sowieso nicht mehr das, was sie einmal waren?
Twiggy: Absolut. Als meine Mutter in meinem Alter war, sah sie aus wie eine ältere Dame. Ich bin kein junger Mensch mehr, aber ich weiß noch ganz gut, was bei den jungen Leuten angesagt ist, welche Filme sie gucken, welche Mode sie tragen, welche Musik sie hören.
Jetzt sehen Sie eher aus wie Ende Vierzig, Anfang Fünfzig. Und dennoch: Wie läuft es denn mit dem Älterwerden?
Twiggy: Es gibt nichts, was ich dagegen tun kann. Die magische Formel habe auch ich noch nicht gefunden. Im Ernst: So viele Leute drehen durch, wegen Fältchen und Bauch und was weiß ich. Dabei ist das Alter ein Teil des Lebens. Man sollte es akzeptieren.
Warum fällt das den Menschen so schwer?
Twiggy: Viele definieren sich ausschließlich über körperliche Merkmale. Wenn die Attraktivität nachlässt, denken sie, sie sind nichts mehr wert. Ich bin seit 26 Jahren glücklich mit meinem Mann verheiratet, habe eine Tochter, meine Familie, meine Projekte, die mich ausfüllen. Und ich habe das Glück, gesund zu sein. Mir fehlt nichts. Aber ich bin nicht blöd. Ich verstehe, dass die Welt nun einmal besessen ist von Jugend und jugendlichem Aussehen.
Und deswegen helfen viele nach.
Twiggy: Ich wundere mich jedenfalls nicht, dass die plastischen Chirurgen alle so reich sind. Botox ist ein übles Gift, das sollte niemand freiwillig in seinen Körper spritzen, aber Schönheitsoperationen? Wem es hilft, der soll es machen. Manche Menschen fühlen sich damit offenbar besser. Ich kann es zwar nicht glauben, dass sich Frauen ohne Not die Brüste aufschneiden lassen, um Plastik dort reinzukippen. Ich finde das übel, aber bitte. Wichtig scheint mir nur zu sein, dass man an den Dingern nicht spart (lacht).