Lieber analog - Von der neuen Liebe zu alten Techniken
Berlin (dpa) - Deutschland ist im Netz, gerade wächst die auf das Smartphone starrende Generation „Kopf unten“ heran. Aber auch in der digitalen Welt hängen Menschen an alten Dingen, an Schreibmaschinen, Briefen, Polaroid-Kameras.
„Jeder Trend hat eine Gegenbewegung“, sagt die Trendforscherin Karin Frick (52) aus Zürich. „Das ist wie die Globalisierung, bei der die Lust am Regionalen entstand.“ Dazu passt, dass der moderne Stadtmensch längst das Gärtnern, Kochen und Basteln für sich neu entdeckt hat.
WER SCHREIBT, DER BLEIBT
Es gibt Leute, die mit Retro-Charme Geld verdienen. Das geht sogar mit handgeschriebenen Briefen. So macht es Thorsten Petzold (46). Er selbst ist kein Schönschreiber. Seine Handschrift? „Kategorie Arzt“, sagt der Berliner Unternehmer. Das ist bei den 61 „SchönschreiberInnen“, die für seine „Schreibstatt“ arbeiten, anders.
Ihre Schrift muss gut aussehen, etwas hermachen. Bei dem noch jungen Unternehmen können Firmen und Privatleute mit Füller und Tinte verfasste Briefe, Einladungen, Tischkärtchen oder Dankesschreiben in Auftrag geben. Ein Brief auf Fein-Papier kostet etwa 17 Euro, eine Einladung 4 Euro. Zur Kundschaft gehören auch Hochzeitsplaner.
Die meisten Schönschreiber sind Frauen und arbeiten zu Hause. Das Schreiben braucht Ruhe, besonders, wenn es um die Kunst der Kalligrafie geht. Petzold erklärt das Prinzip so: Früher war eine E-Mail etwas Besonderes, heute ist es ein Brief. Jedes Schreiben ist ein Original. Auf Wunsch auch in der alten Sütterlin-Schrift, so wie bei der Glückwunschkarte für einen 100-Jährigen.
JOHNNY DEPP REIST MIT SCHREIBMASCHINE
Die Online-Plattform Dawanda verweist auf ganze 800 Produktvorschläge unter dem Suchbegriff „Schreibmaschine“. Alte Geräte werden in der Rubrik „Vintage“ gehandelt, das ist Hipster-Deutsch für „Trödel“. Dort oder in Schreibmaschinen-Läden werden Leute fündig, die ihre Romane lieber in eine Hermes Baby oder eine Gabriele tippen wollen als in den Laptop. Der Vorteil: An der Schreibmaschine wird man nicht vom Internet abgelenkt. Der Schauspieler Johnny Depp besitzt ein 70 Jahre altes Exemplar, erzählte er kürzlich in einem „Cinema“-Interview. „Wenn ich unterwegs bin, habe ich stets meine akustische Gitarre und eine Schreibmaschine aus den 1940er-Jahren im Gepäck. Mit der erledige ich alle meine Schreibarbeiten.“
Retro-Charme haben auch Kassetten: Beim Dawanda-Angebot zum Beispiel als Motive für Ohrstecker, Ketten, Broschen, Manschettenknöpfe oder Kissen. Im Alltag ist die Kassetten-Technik aber vermutlich bald ausgestorben. Selbst die Krimi-Hörspiele „Die drei ???“ werden heute nur noch wenig auf Kassette produziert.
POLAROID SIND „ETWAS EINZIGARTIGES“
Polaroids? Ja, die gibt es noch, nicht nur in der Kunst. Enthusiasten retteten 2008 nahe der deutsch-niederländischen Grenze die weltweit letzte Polaroid-Filmfabrik („The Impossible Project“). Heute werden die Filme für die Sofortbildkameras mit anderen Chemikalien als früher hergestellt und entwickeln sich langsamer, erklärt Fotograf Oliver Blohm (26) in einem Berliner Laden, der die analogen Filme und Kameras verkauft.
Blohm gibt Kurse im Fotografieren und Experimentieren mit der Polaroid-Technik. „Farben sind bei Polaroid etwas Einzigartiges“, sagt er. Er mag das Unkalkulierbare an der Technik, den „Raum des Unerwarteten“. Manchmal kann eine Ecke fehlen oder die Farbe ist verschoben. Viele seien gelangweilt von der digitalen Technik, sagt Blohm. Ihm liegt sie nicht. „Man muss sich damit wohlfühlen, was man macht.“
Acht Polaroid-Fotos kosten 20 Euro: Wer das im Kopf hat, fotografiert anders und überlegt sich das Motiv genauer. Manchmal verschmelzen die Technik von heute und gestern. Blohm hat eine App auf dem Smartphone, das er auf ein kleines tragbares Polaroid-Labor stecken kann. Vom Telefon wird das Bild einer Rose auf den Film übertragen, unten rutscht das Foto heraus. Man könnte auch sagen: Polaroid 2.0.