Mafia-Drama „Gomorrha“ in der ARD
Hamburg (dpa) - Zwischen meterhohen Betonmauern führt ein schmaler Gang wie in einem Gefängnistrakt zu den Parzellen in dem tristen, verwahrlosten Siedlungsbau in der Provinz von Neapel.
Wer hier lebt, sitzt buchstäblich in der Falle, denn in diesem Ghetto regieren allein die Gesetze der Mafia. Sogar der Buchhalter (Gianfelice Imparato) zieht an diesen sozialen Brennpunkten mit einem mulmigen Gefühl im Bauch von Haus zu Haus, wenn er den Angehörigen der toten oder inhaftierten Mitglieder des Familien-Clans ein Gehalt auszahlt. Am Ende traut er sich nicht mehr ohne schusssichere Weste in die Slums.
In seinem halbdokumentarischen Drama „Gomorrha - Reise in das Reich der Camorra“ aus dem Jahr 2008, das die ARD als TV-Erstausstrahlung an diesem Donnerstag (22.45 Uhr) zeigt, beschreibt der italienische Filmemacher Matteo Garrone (42) anhand von fünf Einzelschicksalen die schmutzigen Geschäfte der Camorra, die von internationalem Drogenhandel über Giftmüllverschiebungen bis hin zur Produktion von Designermode reichen. Bei den 61. Internationalen Filmfestspielen in Cannes wurde Garrone für diesen schonungslosen Thriller mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet. Außerdem wurde der Film mit dem Hauptpreis und vier weiteren Auszeichnungen bei der Verleihung des Europäischen Filmpreises im Dezember 2008 belohnt.
Die Vorlage zu dieser teils fiktionalen Gesellschaftsstudie lieferte der heute 31-jährige italienische Journalist Roberto Saviano mit seinem internationalen Bestseller „Gomorrha“, in dem er einige erschütternde Ereignisse zusammen mit eigenen Erinnerungen zu einer Collage des Schreckens verarbeitet hat. In Italien schlug seine sorgfältig recherchierte Reportage über die Macht der Camorra wie eine Bombe ein. Nach der Veröffentlichung des Buches 2006 wurde der Arztsohn unter Personenschutz gestellt. In Italien wurde sein atemlos geschriebener Tatsachenroman mehr als 1,4 Millionen Mal verkauft und wurde in 33 Sprachen übersetzt. In Deutschland ist das Buch 2007 erschienen und landete ebenfalls sofort auf der Bestsellerliste.
„Das System Camorra raubt die Leute aus, es raubt ihnen die Seele und die Energie, es raubt ihnen das Leben, das es wert wäre, gelebt zu werden“, sagte Saviano am Rande der Dreharbeiten. „Ich wollte nie nur von Neapel erzählen. Mir ging es immer um die Widersprüche, die der Kapitalismus in ganz Europa zeigt. Widersprüche, die dafür sorgen, dass die Camorra in England investiert oder in Chemnitz oder in Berlin, ohne dass Deutschland darin bisher ein ernsthaftes Problem sieht.“ Die Camorra bestehe nicht mehr aus schmierigen Gangster vom Stadtrand. „Sie sitzen untern den Nadelstreifen-Bossen der Zementindustrie, sie halten Smalltalk mit den VIPs dieser Welt. Die Camorra ist mitten unter uns.“
Der Traum, eines Tages ein großer, mächtiger Pate zu werden, prägt im Film das ganze Denken und Handeln eines 13-Jährigen (Salvatore Abruzzese), dessen Vater als Mafia-Mitglied inhaftiert worden ist. Als der Junge sich entscheidet, für einen konkurrierenden Clan zu arbeiten, gerät er zwischen die Fronten eines eiskalten Bandenkrieges. Naivität und Übermut wird auch zwei abenteuerlustigen Jugendlichen (Marco Macor, Ciro Petrone) zum Verhängnis. Nachdem sie bei einem Raubüberfall Drogen erbeutet haben, erhalten sie zunächst nur eine kleine Verwarnung. Als sie jedoch ein verstecktes Waffenarsenal der Camorra ausheben und dem Clan den Krieg erklären, wird kurzer Prozess mit ihnen gemacht. Derweil dürfen jüngere Kinder sich als Lastwagenfahrer verdingen, um in einer gigantischen Grube tonnenweise Giftmüll abzuladen.
Das Drehbuch zu „Gomorrha - Reise in das Reich der Camorra“ haben Garrone und Savione gemeinsam mit ihren Autoren Maurizio Braucci, Massimo Gaudioso, Ugo Chiti und Giovanni Di Gregorio entwickelt. Da der Romanautor Saviano bereits zu diesem Zeitpunkt Morddrohungen von der Camorra erhielt, musste vor den Arbeitssitzungen beim Regisseur zunächst immer ein Schutzmann in Zivil das Treppenhaus durchsuchen. Die Dreharbeiten erfolgten im Frühjahr 2007 in Scampia. Weil neben den Schauspielern viele Komparsen für diese Produktion benötigt wurden, wirkten neben den örtlichen Kleinunternehmern auch Vorbestrafte und Drogenhändler mit. Die gesamten Filmaufnahmen liefen nach Angaben der Macher mit dem stillen Einverständnis der Camorra, die stets ihre Beobachter schickte, aber weder Schutzgelder verlangt noch die Filmcrew bedroht hat.