Interview Roncalli: Der Spagat zwischen Erneuerung und Tradition

Für Roncalli-Chef Bernhard Paul ist jedes neue Programm immer auch ein Tanz auf dem Drahtseil.

Foto: Sergej Lepke

Düsseldorf. Vor genau 40 Jahren, am 18. Mai 1976, startete mit der Weltpremiere auf der Hofgartenwiese in Bonn die erste Tournee des Circus Roncalli. Gegründet haben den Zirkus Bernhard Paul und André Heller. Doch nach einem Jahr trennten sie sich im Streit um Konzepte und Rechte. Ab kommenden Donnerstag gastiert der Zirkus mit seinem Jubiläumsprogramm „40 Jahre - Eine Reise zum Regenbogen“ im Rheinpark am Robert-Lehr Ufer in Düsseldorf. Heute wird Paul 69 Jahre alt und blickt auf ein bewegtes Leben zurück, macht sich aber auch Gedanken über die Zukunft.

Foto: Sergej Lepke

WZ: Herr Paul, zum 36. Mal sind sie mit ihrem Zirkus nun schon in Düsseldorf, warum zieht es sie so oft in die Landeshauptstadt?

Bernhard Paul: Wir sind hier immer sehr erfolgreich und das Publikum ist schon etwas anders, als in anderen Städten. Die Leute sind immer gut angezogen, wie im Theater, hier sitzt kaum jemand in der Jogginghose rum.

WZ: Warum ist der Circus Roncalli einer der erfolgreichsten der Welt?

Paul: Das ist immer ein Drahtseilakt, ständig etwas neues zu machen, aber trotzdem die Roncalli-Tradition zu bewahren. Am Ende entscheidet immer das Publikum und bestimmt unser Handeln. Aber unser Zirkus muss immer eine Seele haben und erfolgreich bin ich, wenn ich die Erwartungshaltung des Publikums übertreffen kann. Eigentlich wollte ich früher immer nur Clown werden, niemals Zirkusdirektor.

WZ: Was hat sich in den vergangenen 40 Jahren im Zirkusleben geändert?

Paul: Ein solches Unternehmen zu führen wird immer schwieriger. Man arbeitet gerne, aber die Bürokratie hindert einen oft daran. Es gibt jetzt eine neue EU-Vorschrift, demnach muss jetzt jeder Wohnwagen ein Geländer bekommen. Wir lassen also jetzt 200 Geländer und Halterungen anfertigen. Die müssen in jeder Stadt auf- und abgebaut werden. Allein die Transportkosten liegen pro Umzug bei 1000 Euro. Außerdem mussten wir in unseren historischen Wagen auf allen Achsen ein Zweikreisbremssystem einbauen. Diese Wagen haben noch nie eine Autobahn gesehen und fahren höchstens vom Platz zum Bahnhof, weil wir alles immer mit der Bahn transportieren. Dieser Spaß hat uns etwa 400 000 Euro gekostet. Solche Dinge machen uns das Leben unglaublich schwer. Wir müssen inzwischen nebenbei auf Betriebsfesten oder Sonderveranstaltungen auftreten, um rentabel zu sein. Daher kommt es ja auch nicht von ungefähr, dass einige meiner Kollegen aufgegeben haben. Ich selbst würde heutzutage auch keinen Zirkus mehr gründen. Ich habe mir damals meinen Lebenstraum erfüllt, obwohl ich schon ein bisschen blauäugig an die Sache herangegangen bin.

WZ: Es gibt Leute, die fordern, dass Tiernummern im Zirkus verboten werden. Können Sie das nachvollziehen?

Paul: Auch da haben sich die Zeiten komplett verändert. Große Wildtiere haben meiner Meinung nach auch nichts mehr im Zirkus verloren. Auch der ständige Transport ist für die Tiere nichts, das ist total unverhältnismäßig. Bei Haustieren, dazu gehören für mich auch Pferde, ist das etwas anderes. Es gibt ja auch die Liebe zwischen Tier und Mensch, man muss allerdings die Belastung richtig dosieren.

WZ: Sie feiern heute ihren 69. Geburtstag. Wie lange wollen sie denn noch an der Spitze ihres Unternehmens stehen?

Paul: Bei uns gibt es keine Pensionsgrenze. Ich werde so lange arbeiten, wie ich klar bei Verstand bin. Aber ich ziehe mich schon etwas aus dem Alltagsgeschäft zurück. Meine Kinder Adrian, Vivian und Lili lernen schrittweise, immer mehr Verantwortung zu übernehmen. Aber das dauert, denn Zirkus kann man nicht studieren. Sie lernen gerade das Artistenleben kennen. Meine beiden Töchter sind auch im Jubiläumsprogramm zu sehen. Lili mit einer Kontorsionsakrobatik und Vivian schwebt als Harlekin über den Köpfen des Publikums. Adrian tritt im Apollo Varieté in Düsseldorf auf. Das ist sehr wichtig, um die Menschen im Zirkus und das Publikum zu verstehen. Sie sollen Vorbilder sein und keine Schreibtischtäter werden. Sie haben auch mal bemerkt, dass es wahrscheinlich nicht so einfach ist, in Papas Fußstapfen zu treten, aber mit sechs Füßen würden sie es vielleicht schaffen.