Autorin von „Die große Flatter“ Schriftstellerin Leonie Ossowski gestorben

Berlin · Mit wachem Blick auf die Welt schauen: Leonie Ossowski wollte ihre Leser nicht nur unterhalten, sondern zum Nachdenken bringen. Jetzt ist die Schriftstellerin mit 93 Jahren gestorben.

Leonie Ossowski, deutsche Schriftstellerin, aufgenommen im Jahr 2015 in ihrer Wohnung.

Foto: dpa/Britta Pedersen

Ihre Bücher waren aus dem prallen Leben gegriffen, zeitlebens hat sie sich auf die Seite der Schwachen gestellt: Die Berliner Schriftstellerin Leonie Ossowski erzählte in ihren Romanen von Obdachlosen und Heimkindern, misshandelten Frauen und Zwangsarbeiterinnen. Ein Bestseller wurde der einfühlsame
Jugendroman „Die große Flatter“, der 1979 mit Richy Müller als
preisgekrönter Dreiteiler in der ARD zu sehen war. An diesem Montag ist die gebürtige Schlesierin in Berlin mit 93 Jahren gestorben, wie der Piper Verlag mitteilte.

„Leider bin ich fast blind und kann nicht mehr schreiben und lesen, das fehlt mir sehr“, hatte die Autorin der Deutschen Presse-Agentur noch zu ihrem 90. Geburtstag gesagt. Sie lebte in einer Altersresidenz, hielt sich mit Yoga, Gymnastik und Hometrainer fit - und bewahrte sich den wachen Blick auf die Welt. Mit ihren Texten habe sie immer etwas bewegen wollen. „Sie sollten spannend sein, aber - etwas altmodisch ausgedrückt - auch aufklärerisch.“

In fast 50 Jahren hatte die Mutter von sieben Kindern zahlreiche
Romane, Stücke, Dreh- und Jugendbücher geschrieben, angefangen von ihrem bis heute als Schullektüre beliebten Debüt „Stern ohne Himmel“ (1956) bis zu ihrem Werk „Der einarmige Engel“ von 2004. Jahrelang war sie Sozialarbeiterin und Bewährungshelferin gewesen, hatte eine Jugendgruppe im Gefängnis geleitet und in den 70er Jahren in Mannheim das legendäre Jugendzentrum „Die Kippe“ gegründet.

Als Tochter eines ehemaligen Gutsbesitzers, die eigentlich Jolanthe von Brandenstein hieß, erfuhr sie durch den Krieg das Leid schon in jungen Jahren. „Plötzlich stand ich selbst auf der anderen Seite des Lebens, da schaut man die Dinge anders an.“

Besonders wichtig war ihr deswegen auch ihre mehrfach ausgezeichnete Schlesien-Trilogie, die nach einem Besuch in ihrem Heimatort Röhrsdorf im heutigen Polen entstand. In der dreiteiligen Familiensaga „Weichselkirschen“ (1976), „Wolfsbeeren“ (1987) und „Holunderzeit“ (1991) schildert sie die dortige Kriegs- und Nachkriegsgeschichte mit viel Empathie für die polnische Seite, was ihr harsche Kritik der Vertriebenen-Verbände eintrug.

In ihren Werken habe sie ein Beispiel für Bürgersinn und
politisches Augenmaß unter schwierigen gesellschaftlichen Bedingungen bewiesen, befand die Jury, die ihr 2006 die Hermann-Kesten-Medaille der Autorenvereinigung PEN zuerkannte. Andere nannten sie gelegentlich eine „literarische Sozialtante“. „Ich habe Unterhaltungsliteratur geschrieben, aber meine Texte gehören nicht zu den Verdummungsromanen“, sagte sie selbst.

„Mein größter Wunsch wäre, dass unsere Gesellschaft nicht nur Geld und Kapital in den Vordergrund stellt, sondern vor allem die Menschen“, hatte Ossowski im Gespräch gesagt. „Meine Kinder und ich werden das wohl nicht mehr erleben, aber vielleicht meine Enkel und Urenkel.“

(dpa)