„Sehr gerne“ und nette Taxifahrer: Gibt es eine neue Höflichkeit?
Berlin (dpa) - Der Kellner im Café nimmt die Bestellung mit einem fast schon devoten „sehr gerne“ entgegen. Beim Brötchenkauf flötet die Verkäuferin: „Einen schönen Tag noch“.
Der Taxifahrer hält dem Fahrgast die Tür auf: Das ist in Berlin kurz vor dem Handkuss. Die in den 90er Jahren viel beschimpfte „Servicewüste Deutschland“ ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Wer verkaufen will, muss freundlich sein: Das scheint sich herumgesprochen zu haben. Oder etwa nicht?
In der als Muffeligkeits-Hochburg verschrienen Hauptstadt machen Taxi-Fahrer neuerdings VIP-Kurse, die sich auch dem richtigen Umgang mit dem Fahrgast widmen. „Wir machen es nicht, weil wir schlecht sind, sondern, weil wir gut sind und besser werden wollen“, sagt Initiator Hermann Waldner, Geschäftsführer bei Taxi Funk Berlin. Der Fahrgast soll glücklicher aussteigen als er eingestiegen ist.
Ein freundlicher Umgang, Sauberkeit und bargeldloses Zahlen, Straßenrecht oder das Erklären von Tarifen - das soll für die Fahrer selbstverständlich sein. Etwa 800 Teilnehmer sollen bis Ende des Jahres den VIP-Kurs absolviert haben, was dann eine Plakette in der Autoscheibe zeigt. „Die Nachfrage ist sehr groß.“ Sind Berliner Taxifahrer denn besser als ihr Ruf? „Das glaube ich schon“, sagt Waldner. Allerdings gebe es in einer Großstadt mit 18 000 bis 19 000 Fahrern auch „sehr unterschiedliche Persönlichkeiten“. Ganz so leicht ist der Kurs nicht. „Gerade die alten Hasen fallen ohne Vorbereitung durch.“
Wenn es bei Taxifahrern höflicher zugeht als früher, dann müsste das doch ein Beleg für die neue deutsche Freundlichkeit sein. „Ist das so?“, fragt Autor Martin „Gotti“ Gottschild skeptisch. Der Gegenbeweis: Nach wie vor zieht in seiner Bühnencomedy die Abrechnung mit übellaunigen Servicekräften, wie dem Taxifahrer, der mit 70 km/h im ersten Gang fährt oder der Fahrkartenverkäuferin mit dem Zombie-Blick.
Fast sehnsüchtig beschreibt Gottschild seinen Lieblingskellner in einem Berliner Traditionscafé, der einen gewissen Witz hat, gut informiert und dabei freundlich ist. „Da kriegt man schon richtig Gänsehaut, wenn man so etwas erlebt.“ Eine „erstaunliche Freundlichkeit“ hat er hingegen in Städten wie Halle und Köln beobachtet.
Das Thema hat auch ernste Seiten. Für Angestellte kann es ein Zwangsgefühl sein, wenn sie von ihren Chefs zu Nettigkeits-Phrasen verdonnert werden: „Das stellt natürlich unter Umständen eine nachvollziehbare emotionale Belastung dar - gerade aufgrund stetig zunehmender Arbeitsverdichtung und des damit verbundenden Stresses“, sagt Ulrich Dalibor, Verdi-Fachgruppenleiter Einzelhandel. Immer zu lächeln zu müssen, kann bei einem Berg Arbeit anstrengend sein.
Freundlichkeit wünschen sich manche auch von der anderen Seite der Theke. Ein Gastronom aus Stuttgart bietet seinen Kaffee billiger oder teurer an - je nach Höflichkeit der Bestellung. Wenn Gäste „einen Kaffee“ raunzen, kostet er 7 Euro. Flöten sie „Hallo, einen Kaffee bitte“, sind es 2 Euro pro Tasse. Eine Zwischenstufe steht für 5 Euro auf der Tafel.
„Viele Kunden bestellen dann extra-freundlich und fragen, ob sie darauf noch einmal Rabatt bekommen“, erzählt Carsten Hendricks, der das „Kantinchen“ auf dem Stuttgarter Flohmarkt betreibt. Ernst habe er zumindest bisher aber noch nicht gemacht, sagt er. Strenger ist da ein Wirt aus Nizza in Südfrankreich, der dem Restaurant „La Petite Syrah“ mit derselben Idee zu Berühmtheit verhalf - und zu reichlich Touristen.