Interview Seit fast 40 Jahren bei der Heilsarmee: „Die Gewissheit, von Gott berufen zu sein“
Ein Interview mit Marie Willermark, die seit 1980 bei der Heilsarmee ist. Seit einem Jahr arbeitet sie in Köln als Territorialleiterin.
Köln. Frau Willermark, Sie stehen seit einem Jahr als Territorialleiterin an der Spitze der Heilsarmee in Deutschland, Polen und Litauen. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Marie Willermark: Sehr positiv. Zunächst habe ich schnell gemerkt, dass die Deutschen kein Problem mit Frauen in Führungspositionen haben. Auch die Zusammenarbeit der Menschen gefällt mir sehr gut. So konnten wir zum Beispiel im vergangenen Jahr eine Strukturveränderung in der Organisation vorbereiten, die es der Heilsarmee ermöglicht, in Zukunft noch effektiver zu arbeiten. Wir haben ein sehr gutes Klima für an der Praxis orientiertes Christentum. Die Menschen arbeiten strukturiert und effizient. Sie sind höflich, aber auch sehr direkt — Eigenschaften, die mir wirklich gefallen. Das Einzige, das ich hier als Schwedin in Köln vermisse, ist die Nähe zur Natur. Ich liebe die Freiheit in den Wäldern, wenn man zum Beispiel Pilze oder Beeren sammelt. Aber bereut habe ich den Schritt, in ein anderes europäisches Land zu gehen, nie.
Wie sind Sie selbst zur Heilsarmee gekommen?
Willermark: Ich habe über meinen Vater schon als Kind Kontakt zur Heilsarmee bekommen und war dort in der Pfadfinder-Bewegung aktiv. Im Laufe der Jahre haben sich Freundschaften entwickelt und man hat begonnen, gemeinsam Gutes zu tun. Druck von außen habe ich dabei nie verspürt. Es war mehr die Gewissheit, von Gott berufen zu sein, die mich bei der Heilsarmee aktiv werden ließ. 1980 bin ich dort Offizierin, also Pastorin, geworden und habe mich schon früh mit dem internationalen Austausch beschäftigt. Ich finde andere Kulturen und auch anderes Essen interessant. Es ist ein Teil meines Lebens.
Gönnen Sie sich auch mal ein Kölsch?
Willermark: Wichtig ist für uns die Solidarität mit Menschen, die mit Alkohol oder Drogen Probleme haben. Deshalb verzichten wir auf Drogen wie Alkohol und Zigaretten. Ich habe gerade in Deutschland den Eindruck, dass zu viel geraucht wird und dass Alkohol- und Drogenmissbrauch ganze Familien zerstören. Viele Menschen verlieren so ihren Lebensstandard und landen oft als Obdachlose auf der Straße. Und das sind ganz normale Durchschnittsdeutsche, darunter auch tragischerweise sehr viele junge Menschen. Auf diesem Gebiet ist die Heilsarmee sehr aktiv, um zu helfen.
Wie wichtig ist der Glaube für Sie und auch für die Arbeit der Heilsarmee?
Willermark: Der Glaube ist die Basis unserer Arbeit und ein wichtiger Wert in unserer Gesellschaft. Gott will, dass wir hier auf der Erde ein erfülltes Leben haben. Und unser Dienst in der Heilsarmee ist motiviert von der Liebe zu Gott. Er hat uns den Auftrag gegeben, in die Welt zu gehen und Menschen, die Probleme haben, zu unterstützen. Dabei spielt es keine Rolle, zu welcher Religion diese Menschen gehören, oder ob sie ungläubig sind.
Was tut die Heilsarmee ganz praktisch, um Menschen in Not zu helfen?
Willermark: Neben unserer Gemeindearbeit — die Heilsarmee ist ja eine evangelische Freikirche — leisten wir auch soziale Dienste. Diese unterteilen sich in einen professionellen Bereich, überwiegend in unseren Sozialeinrichtungen, und in ehrenamtliches Engagement, das vorwiegend in unseren Gemeinden stattfindet. So unterhalten wir Wohn- und Übernachtsheime sowie sozialtherapeutische Einrichtungen und Beratungsstellen. Hier sind wir an vielen Plätzen in Deutschland aktiv und leisten eine ganz praktische Hilfe für Menschen in Not. Dazu gehört auch ein niederschwelliges Angebot in der Sozialarbeit, wie das Verteilen von Suppe, Programme für Kinder und Familien oder die Nachbarschaftshilfe. Wir haben hier in der Südstadt zum Beispiel einen Winterspielplatz, der sehr gerne genutzt wird, weil es hier sonst in der kalten Jahreszeit wenige Angebote für junge Familien gibt.
Warum gibt es bei der Heilsarmee noch militärische Elemente wie Uniformen oder Dienstränge?
Willermark: Im viktorianischen England, also in der Zeit, in der die Heilsarmee entstanden ist, galt das Militär als Musterbeispiel an Effektivität und war ein Vorbild für die Gesellschaft, wenn es darum ging, schnell und effektiv zu agieren. Deshalb hatte die Heilsarmee diese Form der Organisation angenommen. Dass wir heute noch Uniformen tragen, finde ich gar nicht schlecht, weil wir so auch nach außen auf der Straße sichtbar werden.
Wie schwer ist es, junge Menschen in die Arbeit der Heilsarmee einzubinden?
Willermark: Es ist nicht einfach, junge Menschen zu überzeugen, sich im sozialen Bereich zu engagieren und für eine Karriere in einer christlichen Organisation zu entscheiden, in der man nicht gerade das meiste Geld verdient. Außerdem ist die Gesellschaft sehr auf die persönliche Freizeit fokussiert, da bedeutet es eine Überwindung, wenn es darum geht, Gutes für andere zu tun. Neben Jugendlichen, die an unseren Programmen teilnehmen, beschäftigen wir auch junge Menschen, die bei uns ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren. Mit anderen christlichen Jugendorganisationen sind wir gut vernetzt.