„Tatort“ ist Kult - von Trimmel bis Tukur
Berlin (dpa) - Hätte er von der Lawine geahnt, die er damals auslöste, Walter Richter hätte sich darauf noch eine dicke Zigarre und einen Cognac im Dienst gegönnt: Als der 65-jährige Schauspieler mit dem Rollennamen Paul Trimmel am 29. November 1970 das „Taxi nach Leipzig“ bestieg, war der erste ARD-„Tatort“ geboren.
Generationen von Kommissaren sollten Walter Richter alias Trimmel folgen. Jetzt, 40 Jahre nach seiner Premiere, ist der Kult-Krimi aus den deutschen Haushalten nicht mehr wegzudenken. Walter Richter musste zwischen den Staaten ermitteln und überschritt dabei auch undercover die Grenze zur DDR, die damals mit Bau-Containern nachgestellt wurde. Trimmel legte sich mit DDR- Polizisten an und streckte sogar einen mit einem gekonnten Faustschlag nieder. Der tapfere Hamburger Kommissar schaffte es auf seiner Irrfahrt durch den anderen Teil Deutschlands bis zum Leipziger Flughafen, für den der Hamburger Airport damals nur leicht umdekoriert wurde.
Heute ist „Taxi nach Leipzig“ ein unvergessener Klassiker, auch auf DVD zu haben. Der „Tatort“ hat Geschichte und Geschichten geschrieben. Wie zum Beispiel 1977 im „Reifezeugnis“, als Christian Quadflieg als Gymnasiallehrer ein Verhältnis mit seiner Schülerin Sina (Nastassja Kinski) hatte und ganz Deutschland am Montag darauf über den Wolfgang-Petersen-Krimi diskutierte. Kommissar Finke (Klaus Schwarzkopf) aus Kiel musste damals den Mord an der Schülerin aufklären.
Finke, Trimmel - vom Typ her eher muffige Beamtenspießer. Mit dem Zollfahnder Kressin (Sieghardt Rupp), der 1971 bis 1973 seinen Dienst verrichtete, dem charmanten Kommissar Haferkamp (Hansjörg Felmy), der 1980 den Dienst quittierte, und dem schlagfertigen Schimanski (Götz George), der 1991 mit seinem Partner Eberhard Feik (er starb 1994) ausschied, entwickelte sich eine Männerriege, die nicht nur die Gangster dingfest machte, sondern auch Frauenherzen höherschlagen ließ. „Schimis“ Currywurstgenuss und seine ungewaschene Jacke wurden zu Markenzeichen.
Doch die Männerfront bekam ihr weibliches Gegenstück, zunächst zaghaft, dann mit aller Macht: Gingen Karin Anselm, Nicole Heesters oder Hannelore Elsner nur sporadisch auf Ganovenjagd, rückte die nächste Generation weiblicher Ermittler den Tätern mit verstärkter Präsenz auf die Pelle: Die „dienstälteste“ Ulrike Folkerts sowie Maria Furtwängler, Eva Mattes, Sabine Postel und seit gut zwei Jahren Simone Thomalla stehen mit ihren männlichen Kollegen auf Augenhöhe.
Der „Tatort“ glänzt auch deswegen, weil er nach dem „Reifezeugnis“ bis heute immer wieder für Gesprächsstoff sorgte: Er mischt sich ein in Migrantenthemen, in politische Konflikte oder spießt Discounter auf, die ihre Mitarbeiter ausbeuten. Der „Tatort“ behauptet sich sonntags gegen das seichte ZDF-Melodram um Pilcher oder Lindström, er nimmt den Kampf auf mit dem Hollywood-Blockbuster auf ProSieben und RTL. Er ist eine Marke, die der ARD lange zur Nummer eins verhalf, wenn auch in diesem Jahr die Kraft des „Tatorts“ dazu nicht reichen wird, denn nach Marktanteilen liegt RTL insgesamt besser.
Für die ARD und ihre neun Landesanstalten ist die Marke „Tatort“, die an diesem Sonntag (28. November) Ulrich Tukur als neuester Ermittler abrundet, ein lohnendes Geschäft, eine Art Industrieware: In mehr als 50 Länder werden die Folgen vertrieben, die Zweitausstrahlungen erfolgen in den dritten Programmen an Sendeplätzen, die aufeinander abgestimmt sind - ein ideales Zusammenwirken der sonst nicht immer einigen Partner.
„Tatort“-Erfinder Gunther Witte dürfte mit seinem Orakel, das er schon vor mehr als zehn Jahren präsentierte, völlig recht haben: „Walter Riester plant seine Rentenreform fürs nächste Jahrtausend - Unwägbarkeiten eingeschlossen. Dagegen erscheint der 50. "Tatort"- Geburtstag als sicher.“