Unwort des Jahres „Unwort 2015“: „Gutmensch“ erinnert Sprachforscher an NS-Zeit
Menschen, die anderen helfen, werden von manchen hämisch als naive „Gutmenschen“ bezeichnet. Jetzt ist der Begriff zum „Unwort des Jahres 2015“ gewählt worden - mitten in der Flüchtlingsdebatte.
Darmstadt (dpa) - Viele Bürger engagieren sich ehrenamtlich für Flüchtlinge, stellen sich gegen Angriffe auf Unterkünfte, wollen Gutes tun. Doch immer wieder wird ihnen mit Häme vorgeworfen, sie seien „Gutmenschen“: Naivlinge, die an einem Helfersyndrom leiden. Die sprachkritische Jury mit der Darmstädter Professorin Nina Janich (47) als Sprecherin hat die Bezeichnung „Gutmensch“ daher zum „Unwort des Jahres 2015“ gewählt, wie sie am Donnerstag bekanntgab - einen Begriff mitten aus einer aktuellen Diskussion, die Deutschland bewegt. Wieder einmal.
Für ihre Entscheidung bekommen die Sprachkritiker viel Lob. In der heftig geführten Debatte über Flüchtlinge stehe „Gutmensch“ „zentral in einem gesellschaftlichen Streit“, sagt etwa der Direktor des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim, Ludwig M. Eichinger. So wie 2014 schon der Begriff „Lügenpresse“. Dass es auch anders geht, zeigt ein Blick auf das „Unwort 2012“: Damals entschied sich die Jury für „Opfer-Abo“, obwohl das Wort unter 2241 Einsendungen nur einmal vorgeschlagen worden war. Die Jury richtet sich nicht nach der Häufigkeit der Einsendungen.
Der Begriff „Gutmensch“ ist nicht neu. Schon 2011 war er bei der „Unwort“-Wahl auf Platz zwei gelandet. Vier Jahre später erlebt die Bezeichnung in der Flüchtlingsdebatte aber so etwas wie eine Wiederbelebung. „Der Begriff „Gutmensch“ hat eine gewisse Aktualität gewonnen“, sagt Eichinger.
Während die vor allem vom islam- und fremdenfeindlichen Pegida-Bündnis genutzte Parole „Lügenpresse“ in die Zeit des Ersten Weltkriegs zurückgeht und von den Nazis aufgegriffen wurde, lässt sich der Vorwurf „Gutmensch“ nach Auskunft von Jury-Sprecherin Janich nicht bis in die NS-Zeit zurückverfolgen. Das sieht auch Margarete Jäger, Leiterin des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung, so.
„Gutmensch“ erinnere allerdings an die NS-Zeit und an die damalige „Diskursstrategie“, sagt Jäger. Die Nationalsozialisten versuchten laut Jäger, andere sprachlich zu „diffamieren und zu isolieren“. Auch nach Ansicht von Nils Bahlo, Sprachforscher am Germanistischen Institut der Universität Münster, lässt „Gutmensch“ an die „diffamierende Rhetorik aus der NS-Zeit“ denken.
Dass ein Begriff im Zusammenhang mit der Flüchtlings-Debatte „Unwort 2015“ werden dürfte, war laut Janich für die Jury unstrittig gewesen. Bei den 1644 Einsendungen sei noch nie ein Thema so präsent gewesen. Als aussichtsreich hatten auch Schlagworte wie „Flüchtlingskrise“ oder „Asylkritiker“ gegolten. Etwa drei Stunden habe das Gremium, das im Kern aus vier Sprachwissenschaftlern und einem Journalisten besteht, sich mit der Auswahl befasst.
Die Jury kritisiert mit der Wahl Schlagworte, die „gegen das Prinzip der Menschenwürde“ und „Prinzipien der Demokratie“ verstoßen, weil sie „einzelne gesellschaftliche Gruppen diskriminieren“ oder „euphemistisch, verschleiernd oder gar irreführend“ sind. „Mit den Begriffen zum Thema Flüchtlinge sind wir noch nicht fertig“, sagte Janich mit Blick in die Zukunft.