Weihnachten: Diesmal sicher ohne Gans
Dieses Fest lässt niemanden kalt und muss immer wieder neu gestaltet werden. Ein ganz persönlicher Tatsachenbericht.
Düsseldorf. Weihnachten — das bedeutet Vorfreude, Erwartungen, emotionsgeladene Diskussionen und Enttäuschungen. Immerhin ist es ein Fest-Höhepunkt im Kirchen- wie im Familien-Jahr. Ein Fest, das vorbereitet sein will, mit Hilfe ausgefeilter Logistik und feinfühliger Diplomatie.
Für die bei uns, wie in den meisten Familien, die Mutter zuständig ist. Unter einen Hut bringen muss und musste sie in unserem Fall mangels großer Verwandtschaft nie allzu viele Akteure. Und seitdem unsere Eltern gestorben sind, hat sich die Familie noch einmal verkleinert: Heute müssen nur noch mein Mann, unsere beiden Kinder und ich selbst „verplant“ und dabei die üblichen Widrigkeiten wie jahresendzeitliche Erschöpfung, Desinteresse oder Pubertät möglichst umschifft werden.
Aber der Reihe nach. Das Weihnachten meiner Kindheit war wohl typisch für die aufstrebende Bundesrepubik der 60er Jahre. Zu den Akteuren zählten stets meine Großeltern mütterlicherseits, weil die mobil genug waren, meine Eltern und mein Bruder. Opa und Oma kamen an Heiligabend-Nachmittag und übernahmen — nach dem obligatorischen Kaffee mit Christstollen und Lebkuchen — das Kommando. Mein Opa ging mit uns spazieren oder achtete darauf, dass wir unseren Nachmittagsschlaf hielten, damit wir das Christkind nicht störten.
Meine Oma rang derweil mit meiner Mutter um die Oberhoheit in der Küche — brachte sie doch das Festessen in Form einer Gans mit. Deren fachgerechte Zubereitung freilich war nicht nur zeitaufwendig, sondern zwischen Mutter und Tochter höchst umstritten. Mich plagte dabei vor allem der Gedanke, wie ich es schaffen konnte, möglichst unauffällig um das von mir verschmähte Federvieh herum zu essen.
Weit wichtiger war für mich natürlich die Bescherung. Ging es doch darum, die mittels Wunschzettel „bestellten“ Geschenke einzuheimsen, die das „Christkind“ mehr oder weniger zuverlässig unter den Baum legte. Vorher freilich mühten wir uns mit Weihnachtsliedern ab, die ich, nachdem ich Klavierunterricht nahm, eigenhändig begleiten „durfte“.
Damals näherten sich mein Bruder und ich übrigens der Pubertät — mit der Folge, dass alles schwieriger wurde. Während ich mich immer noch gern zurechtmachte und mit einem neuen schönen Kleid liebäugelte, probte mein Bruder bereits den Aufstand. Die 68er ließen grüßen.
Das begann bei der betont lässigen und krawattenfreien Kleidung, ging weiter mit der Feststellung, dass er nicht einem Baum beim Sterben zuschauen wolle, und endete mit einer Diskussion um den Glauben an Jesu Geburt. Unser atheistischer Großvater und er gaben die Angeifer, ich die Verteidigerin, die das „Fest der Liebe“ mit aller Macht retten wollte.
Von irgendeiner argumentativen Unterstützung meiner Eltern oder meiner zutiefst katholischen Oma ist mir nichts in Erinnerung geblieben. Das Fest wurde natürlich trotzdem weiter gefeiert, aber ohne Weihnachtslieder und mit lebenden Tannenbäumen, die nachher in die Erde gepflanzt wurden.
Bei uns, zu deinen oder zu meinen Eltern?
Über die Studienzeit in den 80er Jahren lässt sich wenig erzählen, wobei das gemeinsame Fest mit den Eltern nie infrage stand. Spätestens am 24. Dezember fuhren wir heim, auch wenn wir nur noch zu viert feierten, weil jetzt jüngere Enkel die Anwesenheit der Großeltern beanspruchten.
Später, als ich geheiratet hatte, übernahmen mein Mann und ich langsam die Organisation des Festes, kümmerten uns zunächst vor allem um die salomonisch zu regelnde Besuchsanordnung: Heiligabend luden wir beider Eltern zu uns, einen Feiertag ging es zu meinen, den anderen zu seinen Eltern.
Einen enormen Bedeutungszuwachs erfuhr Weihnachten dann mit der Geburt unserer Zwillinge. In schlauen Büchern las ich, dass Kinder Rituale brauchen, und dieses Fest erschien mir bestens dafür geeignet. Ich gab mir alle Mühe, nichts dem Zufall zu überlassen, entwarf geradezu meine eigene Dramaturgie, die Gottesdienstbesuch, Weihnachtsliedersingen (mit Textbögen), Bescherung und natürlich diverse Mahlzeiten in fast minutiöser Abfolge anordnete.
Und die ich verteidigte — gegen ungeduldig die Geschenke einfordernde Kinder ebenso wie gegen sangesunlustige Erwachsene. Um die Oberhoheit in der Küche kämpften damals übrigens meine Mutter und mein Mann, und wieder ging es um die bessere Zubereitung der Weihnachtsgans.
Über die Jahre, das muss ich zugeben, schlich sich ein wenig der Schlendrian in mein Programm ein. So fand ich mich irgendwann allein in der Kirchenbank wieder und verzichtete schließlich auf eine Sologesangseinlage zuhause. Selbst die Bescherung verlor ihren Reiz: Meine nunmehr 16-jährigen Teenagerkinder wünschen sich vom „Christkind“ Unterstützung für den Führerschein. Derlei Geschenke müssen nicht langwierig ausgepackt werden.
Bereichert wurde das Fest derweil an anderer Stelle: Nachdem nur noch mein Vater aus der alten Generation übrig geblieben war, feierten wir auch mal mit Freunden, die wir kurzerhand zu uns einluden. Das lockerte nicht nur das Festessen auf, da jeder etwas beisteuerte. Auch die Musik wurde vielfältiger, ja, sogar tanzbar. Während sich so die abendliche Dramaturgie mehr und mehr auflöste, hat sich eine neue Tradition entwickelt. Seit einigen Jahren beginnt für uns der Heiligabend schon am Vormittag: Freunde kommen, um gemeinsam und planfrei das Fest zu beginnen.
Und dieses Jahr? Die Verhandlungen mit der Familie laufen noch. Schau’n wir mal. Eine Gans jedoch — die wird es sicher nicht geben.