Wenn Schönheit zur Sucht wird

Hamburg (dpa) - Die Haut zum Zerreißen gespannt, die Brüste auch, die Lippen grotesk aufgespritzt: Wenn Frauen es übertreiben mit Schönheitsoperationen, hat das mit Ästhetik oft nur noch wenig zu tun.

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Hollywood ist reich an Beispielen von Schauspielerinnen, die mit ihrem natürlichen Ich von früher nur noch den Namen und eine entfernte Ähnlichkeit gemein haben - und sie sind damit nicht allein.

Dass die spanische Herzogin von Alba, die Ende 2014 im Alter von 88 Jahren starb, etwas hat machen lassen, wurde sehr laut gemunkelt. US-Society-Gewächs Jocelyn Wildenstein hat nach eigenen Angaben mehr als vier Millionen Dollar für OPs ausgegeben - mit dem Ergebnis, dass sie heute mehr Ähnlichkeit mit einer Katze hat als mit der Frau, die sie einmal war. Das britische Model Alicia Douvall gab zu, eine Million Pfund für Eingriffe bezahlt zu haben und nennt sich selbst „süchtig nach Schönheitsoperationen“. Hierzulande bekennen sich Sternchen wie Micaela Schäfer oder Kader Loth dazu, sich mehr als einmal unters Messer gelegt zu haben. Die im Jahr 2000 gestorbene Lolo Ferrari ließ sich 22 Mal operieren, hatte 130 Zentimeter Oberweite und soll sechs Kilo Brust vor sich hergetragen haben.

Besonders tragisch ist der Fall der Porno-Darstellerin „Sexy Cora“, die 2011 ihren Marktwert mit ihrer fünften Brustvergrößerung steigern wollte - dabei aber ins Koma fiel und schließlich starb. An diesem Freitag (11. März) beginnt in Hamburg ein Zivilprozess zu dem Fall. Ihr Witwer hat die Schönheitsklinik auf eine Entschädigung von knapp einer Million Euro verklagt.

Der Übergang zwischen dem Wunsch, etwas an sich zu verändern, und einer Sucht sei fließend, sagt Sven von Saldern, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC). Der Klassiker: „Erst die Lider operieren lassen und dann noch ein Facelift hinterher, die Brust straffen lassen und dann noch die Bauchdecke.“ Es sei ja schön, wenn eine erste Operation eine derartige Steigerung der Lebensqualität bedeute, „aber man muss aufpassen, dass sich die Sache nicht verselbstständigt“. Seine Kollegen und er erlebten oft, „dass die Wünsche immer weniger nachvollziehbar werden“. Da seien auch die Chirurgen gefragt und aufgefordert, die Reißleine zu ziehen.

Gut 86 Prozent der Menschen, die sich für eine Schönheitsoperation entscheiden, sind nach DGÄPC-Angaben Frauen. Die meisten der Patienten haben nach Ansicht des Bochumer Professors für klinische Psychologie, Jürgen Margraf, ganz realistische Ziele und erwarten keine neue Identität von einer Operation. Allerdings erhofft sich laut DGÄPC jede vierte Patientin durch eine OP nicht nur eine bessere Optik, sondern auch ein größeres „Wohlbefinden“.

Es gebe eine Minderheit, die es übertreibe, sagt Margraf. „Die Fälle, die ich gesehen habe, waren vor allem reiche Leute aus einer reichen Subkultur“, sagt der Psychologe, der eine Studie mit dem Titel „Well-Being From the Knife?“ (Wohlbefinden durch das Messer?) veröffentlicht hat. „Meistens ist nicht die Frau diejenige, die das Geld verdient, und sie definiert sich in einer solchen Beziehung dann sehr über ihr Aussehen. Die Konkurrenz schläft nicht.“

Doch es gibt auch Männer, die dem Schönheitswahn verfallen. 13,5 Prozent der Menschen, die sich in Deutschland für die Schönheit unters Messer legen, sind nach DGÄPC-Angaben männlich. „Die Männer gleichen sich auch da an“, sagt Margraf. Mickey Rourke sieht heute beispielsweise völlig anders aus als in „9 1/2 Wochen“ - von Michael Jackson in seinen letzten Jahren ganz zu schweigen.

Kai aus Berlin hat den Kreislauf aus Operationen nach eigenen Angaben inzwischen durchbrochen. „Die Leute denken, das macht glücklich, aber es macht nicht glücklich“, sagt der 25-Jährige, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. „Es gibt einen kurzen Moment der Freude, und dann ist es vorbei.“ Seine letzte große Operation sei inzwischen drei Jahre her.

Mit 18 hatte er sich das erste Mal die Nase operieren lassen, mit Anfang 20 das zweite Mal; dazu noch das Kinn, dreimal die Lippen und Botox in die Stirn. Sieben Eingriffe im Gesicht waren es insgesamt. „Man ist noch geschwollen im Gesicht, sieht total schrecklich aus, findet es aber ganz toll, weil man anders aussieht. Und sobald man sich dran gewöhnt hat, will man wieder etwas Neues“, erinnert er sich. „Ich hatte schwierige Familienverhältnisse und sah meinem Vater sehr ähnlich. Das war wohl der Auslöser dafür, dass ich anders aussehen wollte. Das habe ich aber damals so noch nicht reflektieren können.“

Damals, das ist die Zeit vor ein paar Jahren, als die „Bild“ oder das Sat.1-Frühstücksfernsehen über seine „Schönheitssucht“ berichteten. „Ich war nicht sehr beliebt und ziemlich offensichtlich homosexuell, was auf dem Dorf in Bayern nicht so einfach war“, sagt Kai heute. Aber auch: „Ich war mit 21, 22 ziemlich narzisstisch.“ Seit er das erkannt habe, arbeite er an sich. „So ein operierter, mediengeiler Friseur - das wäre meine Horrorvorstellung.“

Er habe inzwischen andere Themen gefunden, die sein Leben bestimmen, sich selbst das Klavierspielen beigebracht und er überlegt, Fotografie zu studieren. „Ich möchte irgendwas Großes erreichen“, sagt er - mit seinem Aussehen soll das aber nichts mehr zu tun haben. „Es ist jetzt auch gut, wie es ist. Und es gibt andere Dinge, um die man sich kümmern sollte.“