Wird der ESC 2015 politisch?
Wien (dpa) - Schweden? Italien? Oder doch Australien? Glaubt man den Wettanbietern, landen diese drei Länder beim Eurovision Song Contest (ESC) in Wien weit vorne. Der deutschen ESC-Hoffnung Ann Sophie räumen die Buchmacher keine großen Chancen ein, sie rangiert bei den Wettanbietern jenseits der Top Ten.
Neben der alljährlichen Frage nach dem ESC-Gewinner stellt sich dieses Jahr jedoch noch eine fast genauso spannende: Wie politisch wird der ESC? Das Finale der Musik-Show an diesem Samstag in der Wiener Stadthalle dürfte in jedem Fall einige Überraschungen bereithalten.
Der Sieg der österreichischen Dragqueen Conchita Wurst im vergangenen Jahr hatte das Tor für Statements bei Europas größtem Musikwettbewerb schon weit aufgestoßen. In Kopenhagen polarisierte und begeisterte die „Frau mit Bart“ mit ihrer Botschaft von Toleranz und Respekt für alle Menschen.
Klare politische Äußerungen sind laut Reglement eigentlich untersagt. In der Vergangenheit wurden manche Lieder wegen zu eindeutiger Botschaften nicht zugelassen. Doch in diesem Jahr haben manche Teilnehmersongs eine recht eindeutige Agenda.
Mit „Face The Shadow“ erinnert zum Beispiel das armenische Musikprojekt Genealogy an die Massaker an den Armeniern 1915. Die Zusammensetzung der Band spiegelt die Diaspora des verstreuten Volkes. Neben einer Sängerin aus Armenien sind armenischstämmige Musiker aus Frankreich, Japan, den USA, Australien und Äthiopien vertreten.
Der nächste politisch angehauchte Song kommt aus Ungarn: Mit „Wars for Nothing“ präsentiert die Sängerin Boggie eine sanfte Ballade, in der sie für den Weltfrieden singt. Mehr als 30 Jahre nach dem Sieg von Nicole mit „Ein bißchen Frieden“ stehen die Chancen für Boggie nicht schlecht. Auch die für Russland startende Polina Gagarina präsentiert mit „A Million Voices“ einen Aufruf zu harmonischem Miteinander. Armenien, Ungarn und Russland haben den Einzug ins Finale geschafft.
Der ausrichtende österreichische Rundfunk (ORF) will dem Glitzer-Event ebenfalls mehr inhaltliche Bedeutung beimessen. Mit einer barrierefreien Stadthalle sowie Gebärdendolmetschern, die bei den Übertragungen für Gehörlose mit Gesten auch ein Gefühl für die Musik vermitteln sollen, will der Sender den ESC „grenzenlos“ vermitteln und dem Motto „Building Bridges“ Rechnung zollen. „Das Verbindende soll unsere Botschaft sein,“ erläutert ORF-Intendant Alexander Wrabetz im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
Der Beitrag aus Finnland erregte in diesem Zusammenhang zumindest bis zum Halbfinale einiges Aufsehen. In der finnischen Band Pertti Kurikan Nimipäivät (PKN) traten vier Punks mit Behinderung an. In der Gunst des Publikums fielen sie im ersten Halbfinale allerdings durch, für das Finale qualifizierten sie sich nicht. Ihr Fazit fällt dennoch positiv aus: „Wir haben nicht verloren. Wir sind nicht ins Finale gekommen, aber wir haben diesen ganzen Wettbewerb gewonnen“
Und mit der ungewöhnlichen Teilnahme Australiens wird nicht zuletzt die geografische Begrenzung der ESC-Welt gesprengt - die Aussis dürfen beim 60. Song Contest mitmachen, da es in „Down Under“ seit etwa 30 Jahren eine stetig wachsende Fangemeinde gibt.
Durch die mit rund 200 Millionen TV-Zuschauern größte Musikshow Europas führt nun erstmals ein Moderatorinnen-Trio, das das weltoffene Österreich präsentieren soll: Die 90er-Jahre-Talkshow-Ikone Arabella Kiesbauer, die französischstämmige Arte-Moderatorin Alice Tumler und Österreichs wohl bekannteste Moderatorin, Mirjam Weichselbraun. Und auch Conchita Wurst ist als ESC-Aushängeschild der Alpenrepublik als einer der Gastgeber in der Sendung dabei.
Und wie stehen die Chancen für einen Conchita-Nachfolger aus Österreich? Die Alpenrepublik schickt diesmal mit den Makemakes drei Salzburger Poprocker ins Rennen. Ihrer Ballade „I Am Yours“ werden jedoch höchstens Außenseiterchancen eingeräumt.