Besucherschwund Gottesdienst auf abends verlegen?
Die Evangelische Kirche überlegt, sonntags neue Uhrzeiten anzubieten. Viele Gemeinden haben bereits Alternativen.
Dortmund. Die Kirchen haben es nicht leicht. Nicht nur die sinkenden Mitgliederzahlen, die eher in den Karteien abzulesen sind, sondern auch leere Kirchen am Sonntagmorgen zeigen deutlich: Zu glauben und diesen Glauben auch nach den Vorstellungen der Amtskirchen zu leben — das ist nur noch für wenige selbstverständlich. Die Präses der Evangelischen Landeskirche Westfalen, Annette Kurschus, möchte die Reihen durch flexible Angebote wieder füllen. Sie schlägt vor, am Sonntagnachmittag oder -abend Gottesdienste anzubieten.
„Die Lebenswirklichkeit von Familien ist eine andere geworden“, begründete die Theologin ihren Vorschlag. Die Abkehr vom obligatorischen Sonntagmorgen falle ihr nicht leicht, aber der Sonntagabend sei tatsächlich als Alternative denkbar. Wichtig sei es, ein regelmäßiges und zuverlässiges Angebot zu schaffen, um weiter für die Gläubigen präsent zu sein, so die Vorsitzende.
Sie reagierte mit ihrer Erklärung auf Forschungsergebnisse, wonach sich immer mehr Christen von den Kirchen abwenden - aber nicht aus Kritik, sondern weil zum Beispiel Familien am Sonntagmorgen andere Prioritäten setzen. Der Religionssoziologe Detlef Pollack erklärt: „Viele Menschen finden anderes wichtiger: Sie bleiben nicht fern, weil sie die Predigt schlecht finden. Sie möchten aber lieber ausschlafen, Zeit mit der Familie verbringen, zum Fußball gehen.“
Alternativen zu dem klassischen Sonntagmorgen — das Thema ist auch für die Evangelische Kirche im Rheinland nicht neu. „Seit Jahren gibt es Gemeinden, die neue Zeiten ausprobieren“, berichtet Pressesprecher Jens Peter Iven. Denn dafür lasse die Kirchenordnung genug Freiraum: „Die christliche Gemeinde versammelt sich (. . .) so oft wie möglich, besonders aber an jedem Sonntag und kirchlichen Feiertag, zum Gottesdienst und lädt dazu ein“, heißt es im Artikel 71. Der Sonntag ist also gesetzt — die Uhrzeit ist jedoch egal.
Diese Möglichkeit lebt die evangelische Kirche in Wuppertal-Heckinghausen schon seit 20 Jahren. „Damals haben wir eine Umfrage bei uns im Stadtteil gemacht“, berichtet Pfarrer Hans-Achim Wellnitz. „Wann würden Sie in die Kirche gehen?“ war die Frage, auf die viele mit „Sonntagabend“ antworteten. „Deshalb bieten wir Lebenszeichengottesdienste“, erklärt der Pfarrer. Die finden um 18 Uhr statt — kollidieren somit weder mit dem Frühstück noch mit dem Tatort. „Die Nachfrage ist da“, berichtet Wellnitz. Auf den Sonntagmorgen verzichtet die Gemeinde trotzdem nicht. „Der Sonntagabend ist eines unserer Zusatzangebote, die sich an spezielle Zielgruppen richten.“
Auch die katholische Kirche setzt auf ein breites Angebot. „Je mehr Zeiten man anbietet, desto mehr Menschen spricht man an“, ist Stefan Wieland, Pressesprecher des Bistums Aachen überzeugt. Jugendgottesdienste oder Angebote für Studenten bedürfen nun einmal einer anderen Zeit als des Sonntagmorgens. Inwieweit das einzelne Gemeinden leben können, liege auch am Personalstand vor Ort. Wieland: „Die Pfarreien müssen schauen, was sie mit den zur Verfügung stehenden Mitteln leisten können.“