Graubrot statt Glamour? - Stabwechsel in Berlin

Berlin (dpa) - Man kann dem scheidenden Berliner Regierungschef Klaus Wowereit nachsagen, was man will, doch für die Kultur hatte der SPD-Politiker ein besonderes Händchen.

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Unter seiner 13-jährigen Ägide hat sich die Bundeshauptstadt zu einer der angesagtesten Kulturmetropolen weltweit entwickelt, ohne ihren Charme als schrille Szenehochburg zu verlieren. Kulturschaffende verabschiedeten den 61-Jährigen kürzlich als „Berlins Wunderbär“.

Und jetzt? Sein Nachfolger Michael Müller (50), der am Donnerstag nicht nur als Regierender Bürgermeister vereidigt wurde, sondern von Wowereit auch das Amt des Kultursenators übernahm, gilt als bodenständiger, gradliniger und verlässlicher Politiker - durch kulturelle Ambitionen ist er bisher allerdings nicht aufgefallen.

In die Feinheiten der hauptstädtischen Kulturpolitik wird sich der bisherige SPD-Stadtentwicklungssenator erst einarbeiten müssen. Auf der einen Seite erwartet ihn eine Riege hochsensibler Platzhirsche wie der Noch-Intendant des Berliner Ensembles, Claus Peymann (77), Volksbühnen-Chef Frank Castorf (63) und Staatsopern-Intendant Jürgen Flimm (73). Auf der anderen Seite steht eine quirlige Kreativszene, die deutlich mehr Unterstützung erwartet.

Gleichwohl sehen die Ansprechpartner in Bund und Land den Stabwechsel auch als Chance. „Wowereit hat das Berliner Lebensgefühl aufgegriffen und für den Glamoureffekt in der Politik gesorgt“, sagt etwa die Grünen-Abgeordnete Sabine Bangert. „Von Müller erwarten wir, dass er die kulturpolitischen Aufgaben anpackt und inhaltlich umsetzt.“

Und davon gibt es derzeit mehr als genug - allerdings auch solche, die Müller schon als Bausenator mitverantwortet hat. So zeichnet sich bei der seit 2010 laufenden Sanierung der Staatsoper Unter den Linden eine Kostenexplosion von 242 auf jetzt fast 400 Millionen Euro ab.

Im Herzen der Stadt wird für 590 Millionen die zu DDR-Zeiten gesprengte Residenz der Preußenkönige wieder hochgezogen, während Berlin noch bis vor kurzem mit einem Ausstieg aus dem dort geplanten prestigeträchtigen Kulturzentrum liebäugelte.

Und die überraschende Entscheidung des Bundestags, 200 Millionen Euro für ein Museum der Moderne bereitzustellen, gibt dem Land die einmalige Chance, den städtebaulichen Schandfleck am Kulturforum in der Nähe des Potsdamer Platzes zu beseitigen. Vorerst scheint der Elan allerdings schon wieder im kleinlichen Kompetenz-Hick-Hack zwischen Bund und Land zu ersticken.

Doch auch hier gibt es Hoffnung auf Müller. Dem SPD-Politiker wird ein gutes Arbeitsverhältnis zu Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) nachgesagt. So gelang es den beiden im direkten Gespräch, die fast schon satirereife Blockade um das seit 2007 geplante Freiheits- und Einheitsdenkmal zu beenden. Sogar für das im Sockel entdeckte Völkchen seltener Wasser-Fledermäuse gibt es inzwischen eine Lösung.

Da in Berlin wegen der bundesweiten Leuchtturmfunktion der Stadt fast alles in Bund-Länder-Absprache läuft, kann ein guter Draht nicht schaden. Daneben warten reichlich landeseigene Hausaufgaben auf den „Neuen“: die prekäre Situation freischaffender Künstler, der Mangel an erschwinglichen Arbeits- und Aktionsräumen - und vor allem die ausstehende Entscheidung über die Zentral- und Landesbibliothek.

Wowereit hatte das auf 270 Millionen Euro veranschlagte Mammutprojekt mit seinem Namen verknüpft. Doch die Berliner machten ihm mit ihrem Nein zum Standort am früheren Flughafen Tempelhof einen Strich durch die Rechnung. Jetzt muss Müller einen zweiten Anlauf wagen. Nicht ohne Grund sagte Wowereit im dpa-Abschiedsinterview, ein Kultursenator brauche vor allem eins: „Viel Geld“.

Für die anstehenden Herausforderungen hat Müller mit dem genau gleichaltrigen Kulturstaatssekretär Tim Renner durchaus einen Mitstreiter. Allerdings ist der Quereinsteiger und frühere Musikmanager selbst noch keine acht Monate im Amt - und zumindest in der klassischen Kultur nicht so verwurzelt wie sein über eine Steueraffäre gestürzter Vorgänger André Schmitz.

Dass er auch selbst keine Berührungsängste hat und sogar vor fünf Stunden Wagner nicht zurückschreckt, machte der neue Kultursenator aber vorsorglich schon klar. Er habe sogar einmal eine neunstündige Aufführung von Aischylos' „Orestie“ gesehen, verriet Müller kürzlich der „Bild“-Zeitung. Immerhin: In den Pausen gab es bodenständige Erbsensuppe.