Krise Gustavo Dudamel entsetzt vom Tod eines Musikers

Caracas (dpa) - Vor dem Sarg von Armando Cañizales steht der blaue Koffer mit seiner Bratsche. Er wird sie nie wieder spielen. Er ist tot, getroffen von einer acht Millimeter dicken Kugel, bei Protesten für ein besseres, ein neues Venezuela.

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Gerade einmal 17 Jahre alt.

Dieser Tod hat vieles verändert in Venezuela - und die Kraft der Musik kann dem Präsidenten Nicolás Maduro gefährlich werden. Die Venezolaner verlieren heute viel Lebenszeit durch das Anstehen in Schlangen. Misswirtschaft, höchste Inflation der Welt, Einbruch der Öleinnahmen, hoch verschuldet im Ausland. Der Staat hat kaum noch Geld, um Lebensmittel und Medikamente einzuführen. Im Land mit den größten Ölreserven der Welt verhungern Kinder, explodiert die Gewalt.

Die Kinder dieser Revolution wollen das nicht länger mitmachen. Und der Tod des begnadeten Musikers Armando Cañizales hat besonders bei einem eine bemerkenswerte Kehrtwende ausgelöst: bei Gustavo Dudamel.

Er ist ein Kind dieses von Hugo Chávez 1999 begonnenen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“. Der Mann mit dem dunklen Wuschelkopf gilt mit gerade 36 Jahren als einer der besten Dirigenten der Welt, in diesem Jahr dirigierte er mit frischem Wind das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Er spielt in der Liga eines Daniel Barenboim. Sein Twitter-Account, wo ihm über 760 000 Menschen folgen, ist nun aber komplett schwarz. Kein Foto. Nur ein großer weißer Schriftzug, Trauer um einen jungen Musiker seiner Heimat: „Armando Cañizales Carillo“.

Dudamel ist hart kritisiert worden, dass er sich aus der dramatischen Entwicklung in seiner Heimat lange raushielt. Nach Chávez Tod 2013 hatte der frühere Busfahrer Maduro die Macht übernommen - er zog die Zügel an, als zuletzt das von der Opposition dominierte Parlament entmachtet wurde, war das Maß voll. Seit April starben 37 Menschen, Offiziere im Militär rebellieren, viele fürchten einen Bürgerkrieg.

Nun hat Dudamel das Wort ergriffen - und als eine bisherige Ikone der Sozialisten, als einer der bekanntesten Venezolaner, hat das Gewicht. „Es reicht“, schreibt er bei Facebook. Maduro müsse auf das Volk hören und die Unterdrückung stoppen. Die richtigen Waffen für eine bessere Zukunft seinen Instrumente und Bücher. „Diese Zeiten dürfen nicht gezeichnet sein mit dem Blut unserer Leute“, mahnt Dudamel, der aktuell das Philharmonieorchester von Los Angeles dirigiert.

Dudamel ist ein Spross des „Sistema“, dem inzwischen vielfach kopierten Musikbildungsprogramms Venezuelas, das 1975, lange vor der Machtübernahme von Chávez begründet worden war. Aber natürlich profitierte Dudamel von der in Zeiten sprudelnder Öleinnahmen üppigen Förderung der Orchester. Chávez bezeichnete er mal als „wunderbaren Tutor der Orchester, der uns alle Unterstützung zuteil werden ließ“.

Bei dem Staatsbegräbnis für Chávez im März 2013 dirigierte Dudamel das Sinfonieorchester Simón Bolívar. Anschließend stand er in erster Reihe am Sarg, umarmte Chávez' Nachfolger Nicolás Maduro. Für Maduro ist der nun vollzogene Bruch des Stardirigenten eine herbe Klatsche.

Tausende sind gekommen, um Abschied von Armando Cañizales zu nehmen, die Halle ist voll mit Violinen, Bratschen, Geigen und Kontrabässen. Zu Ehren des Toten wird vom Jugendsinfonieorchester José Francisco del Castillo, in dem Cañizales die Bratsche spielte, der zweite Satz von Beethovens Siebter Sinfonie gespielt. Die Premiere 1813 war eine Hommage an die Soldaten, die in den Kämpfen gegen Napoleons Truppen bei der Schlacht von Hanau getötet worden waren. Nun ist es eine Hommage an Cañizales, der am 3. Mai im Kampf gegen die Repression der Sozialisten und die tiefe Versorgungskrise in Caracas gestorben war.

Der Vater des 17-Jährigen überreicht dem Maestro seines Sohnes die Bratsche, Venezuelas Nationalhymne wird mit Hunderten Instrumenten intoniert, als der Sarg in Caracas zum Grab getragen wird. Dieser Tod lässt die junge Generation, die seit April zu Zehntausenden auf den Straßen gegen Maduro demonstrieren, noch mehr aufbegehren, sie äußern ihren Protest auch über die Musik. Und haben nun mit Dudamel einen Mitstreiter mit Weltruf an ihrer Seite, der zugleich warnt, Gewalt mit Gewalt zu vergelten: „Das venezolanische Volk war historisch gesehen immer ein kämpferisches Volk, aber nie gewalttätig.“