Harry (Rowohlt) - und wie er die Welt sieht

Porträt: Harry Rowohlt, Penner in der „Lindenstraße“, berühmter Übersetzer und begnadeter Vorleser wird 65.

Hamburg. "Früher habe ich gesoffen", sagt Harry Rowohlt, sobald er auf dem Podium Platz genommen hat. In der Ankündigung war von einer Lesung mit eigenen Texten und Übersetzungen die Rede, doch Rowohlt gibt es nur als Gesamtkunstwerk mit stark persönlichem Einschlag.

Das gilt auch für die Fernsehrolle, die ihn so bekannt gemacht hat, dass er auf der Straße erkannt wird: Seit 1999 spielt er den Penner Harry in der ARD-Dauerserie "Lindenstraße" und bekommt für seinen Text oft nur ein Stichwort vorgegeben. Den Rest fabuliert er dazu.

Rowohlt, der in Literaturkreisen verehrt wird für seine ebenso präzisen wie federleichten Übersetzungen von "Pu, der Bär", "Die grüne Wolke", der Romane von Flann O’Brian, Philip Ardagh und David Sedaris, spielt mit seiner TV-Prominenz. Er deutet an, dass sie ein bisschen lästig sein kann, nestelt aber sein Manuskript für den Abend artig aus einem Stoffbeutel mit dem blauen Aufdruck "Lindenstraße".

Früher uferten seine Lesungen regelmäßig aus. Er erzählte eine Anekdote und nahm ein Glas, machte eine Anmerkung und nahm ein Glas, am Ende hatten sich die Zuschauer vier bis sechs Stunden amüsiert. "Schausaufen mit Betonung" nannte er das, legte aber Wert darauf, dass er "erst zehn Minuten nach der Lesung besoffen" war.

Das alles änderte sich 2007. Da wurde bei ihm Polyneuropathie diagnostiziert, eine Nervenkrankheit, die die Extremitäten befällt. Er konnte nicht mehr gehen, "die Füße melden Glatteis, auch wenn man sieht, dass da gar keins ist". Seitdem trinkt er nicht mehr - "zum Erstaunen meines Neurologen". Das Gehen klappt wieder, die Lesungen erreichen fast wieder die alte kultige Länge. Doch die weiteren Aussichten beschreibt er mit Zynismus: "Leider gehört auch der Kopf zu den Extremitäten, weshalb ich jetzt im Schnelldurchlauf so dumm werde, wie die meisten Menschen bereits sind. Dann wird es schön, dann werde ich endlich verstanden."

Denn Rowohlt ist ein Bildungsbürger, wie er kaum besser im Buche stehen könnte. Der Hamburger plaudert leicht über die Literatur und Begegnungen mit Lieblings-Autoren wie Frank McCourt, erklärt nebenbei, dass dieses Wort aufs Persische zurückzuführen ist, und zieht noch rasch über den Iren Ken Bruen her, denn dessen Gallway-Krimis übersetzt er gerade mit eher geringem Vergnügen: "Der vierte Band ist der erste, der mir gut gefallen hat."

Zugleich ist ihm der leicht unbürgerliche Auftritt wichtig, womöglich pflegt er allein deshalb seinen Rauschebart. In der Wuppertaler Schwebebahn ist er mal von einem Teenager als "der Yeti dahinten" bezeichnet worden. Nach Rowohlts sonorer Erwiderung, in der es um "die paar Flusen" am Kinn des Gegenübers" ging, konnte der Junge nur mit hochrotem Kopf aussteigen. Mit Behagen erinnert der Autor daran, dass er in Hamburg wegen seines Aussehens mal nicht zu seiner eigenen Lesung nicht zugelassen worden ist.

Und von dem Aufzug lasse man sich bitte nicht täuschen. Rowohlt ist ein ungemein fleißiger Arbeiter. Er fängt meist um fünf Uhr mit dem Übersetzen ("Da rufen wenigstens noch keine Leute an"), und schafft bis zu 20 Seiten am Tag weg, wenn die Zeit und der Verlag drängen. Dabei bekommt er als Star seiner Zunft - der Aufdruck "übersetzt von Harry Rowohlt" ist sichere Verkaufsförderung - immer noch "das Standardhonorar von dreifuffzig". Heute wird Harry Rowohlt 65 Jahre alt. Ändern will er nichts - "warum auch". Gut so.